Ab September 2019 bis März 2020 wurden auf dem Rieter-Areal archäologische Notausgrabungen gemacht.
«Wir haben Überraschendes gefunden»
Die Bauvisiere auf dem Rieterareal nahe der Busendhaltestelle Töss zeigen volumenmässig an, was dort geplant ist. Zwischen den Visieren tragen Mitarbeitende der Kantonsarchäologie Bodenschicht um Bodenschicht ab. Sie sind vor der nächsten Überbauungsetappe auf der Suche nach Informationen, wie sich das Areal vom Mittelalter bis heute entwickelt hat. Denn im 13. Jahrhundert wurde an dieser Stelle ein Dominikanerinnenkloster errichtet. Nach der Reformation wurde die weitläufige Klosteranlage von der Zürcher Obrigkeit als Amtssitz genutzt. 1833 kaufte Heinrich Rieter, der Mitbesitzer der Spinnerei Niedertöss, das Areal. Im Interview erklärt die Projektleiterin der aktuellen Notgrabung, Lorena Burkhardt, was sie und ihre Mitarbeitenden der Kantonsarchäologie seit Ende September alles gefunden haben.
«De Tössemer»: Sie graben im nordwestlichsten Teil des Firmengeländes. Bis 1969 stand an dieser Stelle entlang der Klosterstrasse ein stattliches Gebäude, das zuletzt als Arbeiterwohnhaus genutzt wurde. In der bis vor kurzem noch als Durchgangsheim genutzten ehemaligen Klostermühle, dem einzigen Gebäude, das aus der Klosterzeit erhalten geblieben ist, haben sie temporär Büroräumlichkeiten einrichten können. Was stand auf dieser Grabungsparzelle zur Klosterzeit?
Lorena Burkhardt, Projektleiterin Ausgrabung: Wir graben im Wirtschaftsbereich des ehemaligen Klostergeländes. Das 1233 von den Grafen von Kyburg gegründete und in den Reformationswirren 1525 aufgehobene Dominikanerinnenkloster war eines der wichtigsten Frauenklöster im süddeutschen-schweizerischen Raum. Als Heinrich Rieter das Kloster im 19. Jahrhundert ersteigerte, war der Baubestand aus der Klosterzeit noch weitgehend erhalten. Zu Beginn der Industriezeit wurden in den Klostergebäuden eine Grobspinnerei eingerichtet, später wurde das Areal als Maschinenwerkstätte genutzt. Die Klosterbauten wurden sukzessive abgerissen und durch neue Fabrikhallen ersetzt. In die ehemalige Klosterkirche wurden 1875 Bahngeleise gezogen, um die dort gefertigten Maschinen direkt verladen zu können. Wir graben wie erwähnt im Ökonomiebereich, der sich nordwestlich der Klosterkirche und des Kreuzganges befand. Das ehemalige Arbeiterwohnhaus ist auf Plänen aus dem 17. Jahrhundert als Scheune eingetragen. Wir vermuten, dass das Gebäude schon zur Klosterzeit als Scheune genutzt wurde. Bei unseren aktuellen Ausgrabungen sind wir auf dessen Grundmauern gestossen. Das Gebäude stand zur Klosterzeit direkt neben der Eingangspforte; an die Umfassungsmauer gebaut, von der wir auch Teile freigelegt haben.
Wie gehen Sie bei einer Grabung vor?
Wir tragen Schicht für Schicht ab. Schuttschichten werden grob mit einem Bagger abgezogen. Da steht aber immer eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter neben dem Bagger und schaut, wann sich die nächste Schicht zeigt. Ist die nächste Schicht nur zwei Zentimeter dick, greifen wir zu Pickel, Schaufel und Maurerkelle und arbeiten ganz vorsichtig. Um bei dieser Arbeit ein wenig vor Wind, Sonne und Regen geschützt zu werden, platzieren wir das Grabungszelt über dieser Stelle. Ob mit der Kelle oder mit Pickel und Schaufel, beides sind ziemlich anstrengende Arbeiten. Ausgräber müssen eine gute Konstitution haben, aber gleichzeitig auch sehr aufmerksam sein und vorsichtig arbeiten.
Sind Sie bei den Grabungen auf etwas gestossen, dass Sie überrascht hat?
Allerdings. Das Areal ist zwar auf zahlreichen historischen Karten und Plänen akribisch dokumentiert, aber wir haben tatsächlich ein Gebäude gefunden, das bisher noch auf keinem Plan vermerkt ist. Wir wissen nicht, wie alt es ist und was es für einen Zweck hatte. Es wurde aber offenbar in mehreren Phasen genutzt, denn wir haben äussere Mauerreste gefunden, die älter sind als die inneren Mauerreste. Nachträglich wurde das Innere unterteilt und in der Industriezeit wurde ein tiefer gelegter Holzboden eingefügt. Das wissen wir, da wir Holzreste dendrochronologisch analysieren konnten.
Haben Sie neben Fundamenten auch Gegenstände gefunden?
Wir haben Keramikscherben aus dem Mittelalter bis zur Neuzeit, zwei römische Münzen, eine Münze aus dem Mittelalter und Teile eines wohl einst entsorgten Kachelofens aus dem Mittelalter gefunden. Die römischen Münzen sind aber sicher sogenannte Einzelfunde. Der Fundort ist kaum die Stelle, an der sie mal verloren gingen, denn wir haben die Münzen in einer Schicht gefunden, wo es auch mittelalterliche Keramikscherben gab. Die römischen Münzen müssen daher umgelagert worden sein, vielleicht stammen sie aus einer Erdschicht, die bei früheren Bauarbeiten von einer anderen Stelle geholt und zum Aufschütten verwendet wurde. Die Münze aus dem Mittelalter, ein Brakteat, einseitig geprägt, ist ein seltener Fund. Das war zwar eine gängige Währung im Mittelalter, aber weil die Münze aus hauchdünnem Metallblech und so klein wie eine heutige 10-Rappen-Münze ist, wird sie nur selten gefunden.
In einem ehemaligen Anbau der Scheue wurde vermutlich in der frühen Neuzeit ein Kachelofen entsorgt. Wir haben zum Teil vollständig erhaltene, grün glasierte Blattkacheln mit floralen und geometrischen Motiven gefunden, Schamottsteine und Ofenlehm, mit dem alles zusammengebaut war. Aufgrund von Vergleichen mit ähnlichen Funden und mit Bildern können wir die Motive auf den Kacheln einer bestimmten Modeströmung zuordnen und damit auch datieren. Der Kachelofen muss von Ende des 15. oder Beginn des 16. Jahrhunderts stammen. Eventuell haben die letzten Nonnen im Kloster Töss damit noch geheizt.
Welches ist der wertvollste Fund?
Das ist eine schwierige Frage. Für uns sind jene Funde wertvoll, die uns Aufschluss über die Entwicklung des Areals geben. Wir erhoffen uns von den wissenschaftlichen Erkenntnissen, mehr über die Geschichte und Nutzung des Klosterareals bis zur Zeit der Industrieentwicklung zu erfahren: Was für Bauten und Umbauten gab es zu welcher Zeit, wofür wurden sie genutzt? Wir sind zum Beispiel in einem Grabungsteil ausserhalb der Klostermauern in einer Bodenschicht neben Gefässkeramikscherben und Feuerstellenabfällen auf Gruben gestossen, in denen einst Holzpfosten eingelassen waren, die von Pfostenbauten aus Holz stammen. Die dort gefundenen Keramikscherben stammen aus dem 12./13. Jahrhundert. Das Holzhaus stand also entweder schon vor dem Bau des Klosters dort oder stammt aus der frühen Klosterzeit.
Was passiert mit den Funden und Strukturen?
Zuerst dokumentieren wir alles sehr sorgfältig, indem wir die Mauern und anderen Befunde vermessen, beschreiben, fotografieren und jeder Struktur und Schicht eine Nummer zuordnen. Wir fertigen auch Zeichnungen an, zum Beispiel Profilzeichnungen, wo wir einen vertikalen Schnitt durch alle Schichten machen und diesen Schichtaufbau dann dokumentieren. Wir tragen dabei ein, wo wir eine Pflästerung gefunden haben, wo ein dünnes Gehniveau oder eine komprimierte Kiesaufschüttung. Nachdem alles dokumentiert ist, bewahren wir die Funde im Lager der Kantonsarchäologie auf. Die freigelegten Mauerfundamente dagegen bleiben an Ort und Stelle und werden später bei der Errichtung des Neubaus abgerissen.
Reicht eine Grabungsdauer von sechs Monaten aus, um relevante Erkenntnisse zu gewinnen?
Ja. Wir von der Kantonsarchäologie haben die Grabungsdauer im Vorfeld in Zusammenarbeit mit der Firma Rieter bestimmt und sind daher fester Bestandteil des Bauablaufs. Anhand von Kernbohrungen, archäologischen Sondierschnitten und Georadaruntersuchungen haben wir vorgängig geprüft, was für Schichten uns in etwa erwarten und wie gut die Mauerreste noch erhalten sind. So konnten wir abschätzen, wie lange wir für die Ausgrabung der Fläche brauchen.
Warum graben Sie nur im ehemaligen Wirtschaftsbereich? Gleich angrenzend stand doch die Klosterkirche.
Wir graben nur im Bauperimeter der geplanten Baugrube für den Neubau. Ausserhalb der geplanten Baugrube bleibt der aktuelle Betonboden der einstigen Fabrikhalle bestehen, da wird es keinen Aushub geben. Somit bleiben die archäologischen Überreste erhalten. Wir graben jeweils genauso tief wie der Aushub für einen künftigen Neubau geplant ist. Das machen wir immer so, selbst wenn wir annehmen, dass es weiter unten archäologisch noch interessant sein könnte.. Wir graben nur in den Schichten, die sowieso durch ein Bauvorhaben zerstört werden und dokumentieren das für die Nachwelt, was kaputt geht. Was unangetastet bleibt, belassen wir. Die Kantonsarchäologie macht Notgrabungen und führt keine Forschungsgrabungen durch wie zum Beispiel die Universitäten.
Interview: Regina Speiser