Seit über 30 Jahren ist Claudio Lavorato Coiffeur. Und seit über 30 Jahren geht er diesem Beruf in Töss nach. Grob geschätzt hat er weit über 40’000 Kunden in seinem Salon «Coiffeur Venus» an der Zürcherstrasse eine neue Frisur geschnitten, rund 30 jungen Menschen den Beruf gelernt, und tausende von Gesprächen über Sorgen und Freuden seiner Kundinnen und Kunden geführt. Matthias Erzinger hat eine Haarschnittlänge lang mit ihm gesprochen.

«Normalerweise bin ich täglich etwas über 10 Stunden hier in diesem Salon» sagt Claudio auf die Frage, wie sein Arbeitstag aussehe. Kurz vor 8 Uhr ist er jeweils im Geschäft an der Zürcherstrasse, gegen halb sieben geht er heim. Er packt meine Haare, die von der Lehrfrau gewaschen wurden, schnippt prüfend zwei, drei Mal mit der Schere, und beginnt sein Werk. Mehr als 12 Stunden, und dies seit über 30 Jahren, 5 Tage die Woche. Zuerst als «Stift» bei seiner Schwester Renata, seit rund 30 Jahren als Chef des Salons. «Sie hat den Salon 1980 von Francesco Guido übernommen. Der wollte weg von Töss, ins Ausland. Allerdings war der damalige Salon viel kleiner: Gerade mal zwei Arbeitsplätze umfasste er. «Meine Schwester hat dann ausgebaut und auf 8 Plätze vergrössert. Aber dann wollte auch sie nicht mehr Chefin sein, bekam Kinder, und so übernahm ich den Salon». Die Schere klappert leise…

«In den Achtziger Jahren gab es viel mehr Menschen auf der Zürcherstrasse» erzählt Claudio, «und nur zwei Coiffeurgeschäfte». Heute sind es von der Grenzstrasse bis zur Rieter über 10 Salons. Damals war das Verhältnis zwischen Frauen und Männern praktisch ausgeglichen, da der Salon von den Arbeitern der Sulzer und der Rieter viel Laufkundschaft hatte. «Ich vermisse die Menschen auf der Strasse etwas. Es war viel lebendiger». Heute leben Claudio und seine Mitarbeitenden vor allem von der treuen Stammkundschaft. Und das sind etwa zu 70 Prozent Frauen, und nur noch zu 30 Prozent Männer. Vier Coiffeusen und zwei Lehrlinge arbeiten im Salon. «Auch meine Schwester Renata ist seit 5 Jahren wieder mit dabei, und seit drei Jahren meine Tochter Noelia. Sonja Calabrese, welche die Lehrlinge ausbildet, ist seit über 20 Jahren mit dabei». Claudio ist stolz auf das gute Klima im Salon. «Das spüren auch die Kundinnen und Kunden».

Claudio Lavorato

Heimat? Wo man lebt…

«Meine Heimat ist Töss» sagt Claudio, und legt die Schere beiseite. Jetzt wird mit der Maschine nachgeschnitten, bevor dann der Feinschliff wieder mit der Schere erfolgt.

Zwar lebt er mit seiner Familie in Henggart, aber die meiste Zeit seines Lebens hat er in Töss verbracht. Geboren wurde er schon in Winterthur, aufgewachsen ist er am Obertor 10. Seine Eltern wanderten in den fünfziger Jahren in die Schweiz ein. Sie kamen aus Kalabrien. Seine Mutter arbeitete bei C&A, sein Vater als Isolateur. Das Haus der Familie lag am Meer, und so ging auch Claudio jedes Jahr dahin in die Ferien. «Aber mein Vater ist schon vor einigen Jahren gestorben, meine Mutter im letzten Sommer, und irgendwie hat damit auch ihre Heimat für mich an Bedeutung verloren.» Claudios Frau ist Schweizerin, seine Kinder sind Doppelbürger, aber er selbst ist nie Schweizer geworden. «Ich habe zwei, drei Mal einen Anlauf genommen, aber die Bürokratie war mir dann neben der Arbeit zuviel. Und mir bedeutet der Pass irgendwie auch nicht so viel. Ich habe meine Heimat da, wo ich lebe und mich wohlfühle. Und das ist Töss».

Mit Haare schneiden ist die Arbeit nicht vorbei

Erneut nimmt Claudio die Schere zur Hand, gibt der Frisur den letzten Schliff. «Mit dem Haare schneiden ist meine Arbeit nicht vorbei» meint er. «Ich habe mich immer weitergebildet, und auch die Mitarbeitenden müssen sich immer weiterbilden. Am Abend, an Wochenenden. Jedes Jahr kommen neue Schnittformen dazu, neue Produkte für die Haarpflege, neue Ansprüche». Qualität ist im wichtig. «Natürlich gibt es günstigere Coiffeur-Salons» meint er, aber sein Geschäft lebe von der Qualität, und dazu brauche es auch gut ausgebildete Mitarbeitende. So bildet er ständig Lehrlinge aus. Und diese Lehrlinge sind ihm ans Herz gewachsen. Gegen 30 junge Menschen sind durch ihn und Sonja Calabrese ausgebildet worden, und auf alle ist er stolz. Ganz besonders natürlich auf seine Tochter Noelia, die nach der Lehre nun schon drei Jahre voll mitarbeitet. «Man hat eine grosse Verantwortung. Sie kommen mit 15, 16 Jahren noch sehr jung in den Salon und verlassen ihn drei Jahre später als Erwachsene». Claudio ist es wichtig, ihnen nicht nur das Haare schneiden beizubringen, sondern auch, wie man sich gegenüber den Kunden verhält, und dass nur höchste Qualität zählt. Es brauche schon manchmal viel Energie. «Aber es macht auch viel Freude, wenn sie ihren Weg gehen und vorwärtskommen».

Gegenseitig etwas Therapie…

Langsam nähert sich seine Arbeit an meinem Kopf dem Ende zu. Mit einem Messer werden letzte Stellen nachgeputzt. Zu den einen Kunden, so Claudio, habe er ein engeres Verhältnis, zu anderen weniger. Aber tatsächlich bespricht man mit einem Teil auch sehr persönliche Dinge. «Da bin ich dann tatsächlich manchmal ein bisschen ein Therapeut – aber das gilt auch umgekehrt. Wichtig ist, dass alles, was besprochen wird, im Salon bleibt und ich niemals irgendwo etwas darüber verplappere». Hilfreich ist dabei eine gewisse professionelle Distanz, die er sich verordnet. Ab und zu würden Kundinnen und Kunden auch zu Freunden, gehe man mal mit den Partnern essen oder so. «Aber wichtiger als das ist, dass wir ein Vertrauensverhältnis haben».

Claudio wischt die geschnittenen Haare vom Mantel, mit einer Bürste werden die letzten Haare von den Kleidern geputzt. Auch ich bin seit 30 Jahren ein zufriedener Kunde. «Ciao, und einen schönen Gruss zuhause» sagt Claudio…