Die ersten Mieterinnen und Mieter im Zentrum Töss

«Eine verschworene Gemeinschaft» – fast immer …

Vor rund 50 Jahren zogen sie mit ihrem Geschäft ins Zentrum Töss ein, das am 1. Oktober 1970 eröffnet wurde. Migros, die Hypo-Bank, die Post, … und am 6. November wurde das Hotel und der Saal eröffnet. Matthias Erzinger hat mit einigen Bewohnerinnen und Bewohnern der ersten Stunde gesprochen. Einen Beitrag zur Geschichte des Zentrum finden Sie hier.

Es ist nicht nur für die Region, sondern für die ganze deutsche Schweiz ein besonderer Tag, dieser 1. Oktober 1970: Die Eröffnung des Zentrums Töss weckt grosses Interesse – und noch grössere Erwartungen. Es ist neben dem bereits 1967 in Luzern eröffneten Shopping Schönbühl und dem Shoppingcenter Spreitenbach (Eröffnung im März 1970) erst das dritte (wenn auch etwas kleinere) Einkaufszentrum nach amerikanischem Muster. Mit einem grossen Fest wird das Zentrum eröffnet, am 6. November folgt die Eröffnung des Hotels und des Saales. Eine der wichtigsten Mieterinnen ist die Migros-Genossenschaft, die bisher etwas stadteinwärts auf der östlichen Seite der Zürcherstrasse eine Filiale führte (Bild). Zur Migros gehört auch bis 2003 ein Restaurant auf der zweiten Ebene des Gebäudes, auf dem auch die Kreisbibliothek zu finden ist.

Post, Bank, Hobby, Papeterie

Initiant des Zentrums ist der damalige Rieter-Direktor Oskar Denzler. Wichtig daran: Mehr oder weniger sämtliche Produkte des täglichen Bedarfs müssen in einem solchen Zentrum angeboten werden, dazu auch die wichtigsten öffentlichen Dienstleistungen. So kommt die Postfiliale ins Zentrum und die damalige Hypo-Bank-Winterthur eröffnet eine Filiale. Eine Chemische Reinigung, ein Schuhgeschäft, ein Lebensmittel-Discounter, der «Töss-Discount», ein Fotogeschäft, ein Modegeschäft aber auch ein Gartenbedarf mit Tierhandlung, ein Radio & TV Geschäft und ein Werkzeug- und Hobby-Bedarf-Geschäft finden sich in der Ladenpassage.

Edwin Flacher, Hauswart

Einer der ersten, der in eine der 45 Wohnungen im Wohnturm des Zentrums einzieht, ist damals Edwin Flacher und seine Familie. Flacher hat eine Lehre als Dreher bei Sulzer absolviert und arbeitet seit mehreren Jahren als Chauffeur bei Daniel-Transport. Er und seine Frau ziehen auch in eine der 5 4-Zimmer-Wohnungen ein und halten das Zentrum sauber. Während er in der Ladenpassage putzt und flickt, schaut sie im Wohnturm zum rechten – insbesondere in der Waschküche. 3 Maschinen hat es da für 45 Partien. «Da war ihre Durchsetzungskraft schon gefragt», erzählt Flacher. Er repariert derweil, putzt und am Abend ist er im Saal Bühnenmeister – für fünf Franken die Stunde. Dieser Saal wurde stark genutzt. Zum Beispiel für das Jubiläum der Lokomotivfabrik. Da wurden auf dem Parkdeck extra sechs Plätze für Bundesrat Bonvin und seine Entourage reserviert. Aber die kamen und kamen nicht. Die Chefetage der «Loki» befand sich in Aufregung, als Flacher vom «Dorfplatz» herab den Vermissten aus einem Bus steigen sieht. «Auch Willi Ritschard habe ich mal im Restaurant getroffen, als er am Kaffeetrinken war, und Ernst Brugger war jeweils bei den grossen FDP-Anlässen zu Gast.»

Edwin Flacher kennt das Zentrum durch und durch. Schon bald stellt sich heraus, dass es billig gebaut wurde und Mängel aufweist. Fenster werden in kurzer Zeit blind und müssen ersetzt werden, die Heizungsleitungen sind nicht schallisoliert, Wasserschäden sind häufig. «Allerdings waren nicht alle auf Baumängel zurückzuführen: Einmal schlief ein Bewohner im neunten Stock ein, während er die Badewanne am Füllen war. Ein Frottiertuch verstopfte den Überlauf – und so begann es bald in den darunterliegenden Wohnungen zu tropfen. Die Polizei musste kommen, um Wohnungen in Abwesenheit der Mietenden zu öffnen, der Schaden war gross.» Edi Flacher hat noch viele Geschichten auf Lager. «Das Gebäude war an sich von Beginn weg ein Sanierungsfall, und es hätten schon bald vermutlich mehr als die 15 Millionen Baukosten für die Sanierung aufgewendet werden müssen.» Als Hugo Erb 1988 das Zentrum Töss für 30 Millionen kaufte, verschärft sich die Lage aber. «Erb hat das Zentrum überzahlt und sich dazu noch bei hohen Zinsen stark verschuldet.» Unter Erb muss Flacher auch die Nebenkostenabrechnungen erstellen. So hat er teilweise Einblicke in Erbs Buchhaltung. 2005 wird Edwin Flacher pensioniert. Er lebt heute noch in Winterthur.

Ruth Werren, Geschäftsführerin

Eine der bekanntesten Bewohnerinnen des Zentrums ist sicher die heute 81-jährige Ruth Werren, die viele Jahre für die FDP im Gemeinderat politisierte und sich stark für den Wildpark auf dem Eschenberg einsetzt. Für einen Sulzer-Ingenieur führt sie am Oberen Graben ein Gartenbedarf- und Zoogeschäft. Ihr Chef will expandieren und so wird im Zentrum Töss eine Filiale eröffnet – und Ruth Werren zieht auch gleich zuoberst in den Wohnturm in eine zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. «Ich hatte die schönste Aussicht von Töss.» Am Abend bringt sie jeweils fehlendes Material aus dem Hauptgeschäft nach Töss. Ruth Werren bildet sich während der Zeit immer weiter, von der angelernten Verkäuferin bis zur Diplomierten Verkaufsleiterin. 1980 wechselt sie zum Gartencenter Hauenstein, wo sie später zehn Gartencenters leiten wird. «Rückblickend war das Zentrum an sich schon eine Fehlkonstruktion», meint sie. Die billige Bauweise habe dazu beigetragen, dass sogar sie sich in der Passage im Winter manchmal unwohl fühlte. Klar seien die Mieterinnen und Mieter der ersten Stunde eine verschworene Gemeinschaft gewesen, «und trotzdem hat es diese Gemeinschaft nicht fertiggebracht, sich auf gemeinsame Öffnungszeiten zu einigen, was für ein solches Center unabdingbar ist. Nicht alle haben wirklich etwas vom Detailhandel verstanden». Auch nach ihrer Pensionierung 2001 bleibt Ruth Werren im Zentrum Töss wohnen. 2005 aber, nach 35 Jahren, hat auch sie genug vom Zentrum und zügelt nach Seen.

Fritz Fawer, der Bankdirektor

«Nach einigen Wochen habe ich halb Töss gekannt», sagt Fritz Fawer über die Zeit der Eröffnung des Zentrums Töss. Auch er hat wie Irma Utelli bereits eine Familie und arbeitet in den 1960er-Jahren bei der Sihlpost in Zürich im Schichtbetrieb. Er bekommt gesundheitliche Probleme. Dank eines Kollegen erhält er jedoch eine Stelle als Liegenschaftenverwalter bei Bruno Stefanini. Und durch die dadurch entstehenden Kontakte wiederum wird er zum Banker – und ersten Direktor der Hypo-Bank-Filiale im Zentrum Töss. Auch er zieht mit der Familie in den Wohnturm. «Es waren praktische Wohnungen, und wir konnten zur 4-Zimmerwohnung noch eine 1-Zimmewohnung mieten und verbinden.» Fawer integriert sich rasch in Töss, singt im Sängerbund, ist beim Turnverein dabei. «Die Filiale lief super, und die Zentrumsfeste waren richtige Dorffeste.» 1986 kann er die Filiale erweitern und im Keller kommt eine Tresoranlage dazu. «Wir hatten die schönste Bankfiliale weit und breit.» Mit dem Abstieg der beiden dominanten Arbeitgeber Rieter und Sulzer und aufgrund der baulichen Mängel nimmt die Anziehungskraft des Zentrums Töss gegen Ende der achtziger Jahre immer mehr ab. Auch im Bankensektor kommt es zu Konzentrationen. Der Bankverein übernimmt die Hypobank Winterthur 1993. Fritz Fawer befürchtet, im Grosskonzern bald seinen Handlungsspielraum zu verlieren und lässt sich 1994 pensionieren. «Ich wollte einen selbstbestimmten Abgang, und nicht plötzlich von oben herab aufs Eis gelegt werden.»

Irma Utelli, Papeteristin

«Die Papeterie war eigentlich mehr Hobby, als wirklich eine Einnahmequelle», erzählt mir Irma Utelli in ihrer Wohnung in Neftenbach, wo die heute 88-Jährige lebt. «Ich komme aus dem Aargau, und hatte eine Papeteristen-Lehre absolviert, arbeitete dann aber in Zürich «beim Telefon». Dort lernt sie ihren Mann kennen. Zufällig stösst sie 1962 auf ein Inserat, in dem eine Papeterie in Töss zum Kauf angeboten wird. «Als ich dann zum ersten Mal in den Laden trat, sind mir alle die Erinnerungen wieder hochgekommen, der Duft des Papieres, der Farben … .» Der Preis ist gering, und so beschliessen ihr Mann und sie, das Geschäft zu übernehmen. Er arbeitet jedoch weiterhin als Betriebstechniker bei den PTT, während sie nun das Geschäft führt und auf die zuerst drei, dann fünf Kinder schaut. Als sie ein Angebot erhält, im Zentrum ein Geschäft zu mieten, ist ihr rasch klar: «Wenn ich das nicht mache, kann ich mein Geschäft schliessen – umso mehr als es gerade hinter der Bauwand der neuen Unterführung versteckt wird». Utellis ziehen auch in eine Wohnung im Wohnturm. «Als die Kinder klein waren, war das praktisch. Sie konnten einfach zu mir in die Papeterie kommen, wenn etwas war. Mit der Zeit wird es aber auch ihr zu eng, und schliesslich «wollte ich auch mal Feierabend». Die Familie mietet in Brütten eine Wohnung. Heute lebt Irma Utelli in Neftenbach. Sieben Lehrtöchter hat sie im Zentrum Töss ausgebildet. «Zu Beginn lief das Geschäft sehr gut, da ich günstig war und ein breites Angebot hatte. Die Leute kamen von weit her. Wir im Zentrum waren eine verschworene Gesellschaft.» 1992 geht Irma Utelli in Pension. Ihr Geschäft ist heute ein Lebensmittelladen mit Bistro.