Menschen aus Töss

Familie Schmucki: im malaischen Urwald von Corona überrascht

Letztes Jahr hat der Tössemer berichtet, wie Familie Schmucki von der Grenzstrasse auf die Alp zog. Dort sind Schmuckis seit Ende März auch wieder angelangt. Von September bis dahin waren sie jedoch unterwegs. Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan, Indien, Sri Lanka, Thailand und Malaysia waren die Stationen einer aussergewöhnlichen Reise. Ende Sommer werden sie zurück sein, nach mehr als eineinhalb Jahren wieder im Tössfeld leben.

Über 3000 Meter über Meer, im Oktober 2019: Anina und Andreas Schmucki sind mit ihren beiden Kindern Anne-Sophie und Luc in Sary Mogol, irgendwo im kirgisischen Niemandsland, nahe der Grenze zu China. Sie warten auf Visas und eine Sondergenehmigung, um nach Tadschikistan einreisen zu können und den Pamir Highway zu bereisen. Etwa zwei Monate sind sie nun schon unterwegs, von der Alp Brunnenmad oberhalb Lungern. «Dass wir von der einfachen Alp kamen hat es uns im Pamir-Gebirge sehr erleichtert», sagt Anina. Die Dorfgemeinschaft habe sie schnell akzeptiert, da Einheimischen gemerkt hätten, dass auch Schmuckis mit einfachen Verhältnissen zurecht- kämen. Rund eine Woche müssen sie warten. Sie lernen einen Deutschen kennen, und fahren mit ihm und seinem Toyota weiter. Hinein nach Tadschikistan und entlang dem Pamir Highway. «Wir mittendrin in diesem Gebirge. Einfach unglaublich. Im südlicheren Teil war es dann etwas unwirklich: wir auf der einen Seite des Flusses, auf der anderen Seite Afghanistan», meint Andreas.

Wie die Schweiz – einfach unverbaut

Gestartet ist die Familie in ihr Abenteuer jedoch an sich im April 2019: damals wurde der Haushalt an der Grenzstrasse aufgelöst (Familie Schmucki geht auf die Alp). Nach ei- nem Alpsommer auf der Alp Brunnenmad oberhalb von Lungern starten sie im September zu einer Reise, die eigentlich nach China führen soll. Nur Sultan in Kasachstan erreichen sie noch mit einem Flugzeug, aber von da an sind Bus und Eisenbahn ihre Transportmittel, ab und zu reisen sie auch im Auto von anderen Weltenbummlern mit. Schmuckis wollen «möglichst rasch möglichst hoch hinauf», um noch vor dem einbrechenden Winter die Bergwelt Kirgisiens zu erreichen. Im Bergdorf Altyn Arashan auf über 2500 Metern über Meer übernachten sie in den Jurten, geniessen die offenen Thermalquellen, reiten  und  erkunden  den Nationalpark. Schneeleoparden und Bären können sie zwar keine sehen, dafür kommt die Familie erstmals zusammen auf über 4000 Meter über Meer. «Die Landschaft dort ist sehr ähnlich wie in der Schweiz – einfach unverbaut», berichtet Anina Schmucki. Von Altyn Arashan geht es nach Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens. Hier ist die ehemalige sowjetische Staatsarchitektur noch allgegenwärtig. Schmuckis schalten eine Pause in ei- nem Hostel ein. Regelmässig unterrichtet Anina ihre Kinder. Und gleichzeitig wird der weitere Verlauf der Reise geplant.

Die orientalische Wüstenstadt

Schliesslich reist Familie Schmucki weiter – das bereits erwähnte Pamir-Gebirge lockt, da die Temperaturen für die Jahreszeit noch sehr angenehm sind und wenig Schnee liegt. Eine Zwischenstation ist Osh, eine orientalische Stadt mitten in einer Steppenlandschaft. «Im Frühjahr und Sommer ist das eine fruchtbare Gegend, ein einziger riesiger Garten, aber als wir in Osh waren, war bereits alles abgeerntet und braun. Die Erde wartet auf den Winter und Was- ser. Im Gegensatz zu Bischkek, das erste Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, hat Osh eine reiche Geschichte zu erzählen.» Von Ferne grüsst das Pamir-Gebirge, und Schmuckis entscheiden relativ spontan, den Pamir Highway zu bereisen und gelangen so ins eingangs erwähnte Sary-Mogol. Nie bleibt die Familie weniger als drei, vier Tage an einem Ort, manchmal auch länger, um wirklich die vielen Eindrücke aufnehmen zu können.

Der Hammer: Delhi

Nach der Reise über den 1200 Kilometer langen Pamir-Highway landen die Schmuckis in Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan. Aufgrund der Unruhen im Iran beschliesst die Familie, von Usbekistan direkt nach Indien zu reisen und fliegt nach Delhi. «Wir haben gemerkt, dass wir etwas Schwerpunkte setzen müssen.» Inzwischen ist es November – und der Wechsel vom orientalischen Hochland Zentralasiens in die indische Metropole erweist sich auch als Schock. «Es war manchmal einfach von allem zu viel», sagt Anina. Zu viel Elend, zu viele Gerüche, zu viel Opulenz, zu viele Menschen. Einmal mussten wir uns in ein Einkaufszentrum flüchten und dort eine ruhige Ecke als Rückzugsort suchen. Lange halten kann Delhi die Familie nicht. «Leider haben wir für Indien nicht optimal geplant. Für die grossen Zugslinien muss man sehr lang vorausbuchen», erzählt Andreas. Da wir das nicht gemacht hatten, mussten wir auch zugreifen, als kurzfristig Platz auf einem Zug zum Taj Mahal und danach weiter in den Süden frei wurde. «Der Kopf hat es uns nicht zugegeben, dass man in Indien einfach nicht so spontan reisen konnte, wie wir uns das gewünscht hätten.» So plant die Familie in Mumbay den kommenden Monat minutiös. Via Goa, das ihnen jedoch gar nicht zusagt, reist die Familie in den Süden des Subkontinentes, ins Hochland von Kerala. «Indien war ein ständiges Wechselbad der Gefühle.»

Freiwilligen Einsatz in Sri Lanka

Den Januar verbringt die Familie im Süden von Sri Lanka. Sie arbeiten gegen Kost und Logis auf einer Kokos-Farm im 200-Seelen-Dorf Angudoga. «Die körperliche Arbeit hat uns gut getan, auch die Ruhe, und die Möglichkeit, länger an einem Ort zu bleiben. Und so haben wir langsam begonnen, unsere Zukunft zu planen.» Anina findet eine Stelle als Lehrerin in Winterthur. Und wohnen wird die Familie ab kommenden Herbst im Sulzer-Areal, in der Siedlung «EinViertel» der GESEWO. Schmuckis kommen zurück ins Tössfeld, die Kinder werden ab August wieder im selben Schulhaus zur Schule gehen wie vor dem ersten Alpsommer.

Doch zuerst wird Sri Lanka noch ausgiebig erkundet, und schliesslich führt eine der wenigen Flugetappen nach Bangkok. «Erneut ein Kulturschock. Wir lebten bei einem Cousin, der an der einer internationalen Schule unterrichtet. In einem Haus mit 2500 Bewohnenden.» In Bangkok geniesst die Familie nochmals so richtig Ferien. Mit Velos erkunden sie entlang von Kanälen die Umgebung der Millionenstadt. Schliesslich reisen sie weiter nach Malaysia.

Zurück in eine leere Schweiz

Eine Wanderung durch den Urwald leitet über in die Zeit des Corona-Virus. «Vor unserem Aufbruch auf den Treck sprach in Malaysia noch kaum jemand von diesem Virus, und als wir zurückkamen war alles anders. Natürlich haben wir die Situation schon zuvor etwas beobachtet, aber wir hätten nie damit gerechnet, faktisch auf der Strasse zu stehen: unser Hotel war geschlossen, das Land im Lockdown.» Schliesslich findet die Familie doch noch ein Hostel, und sie beschliessen, raschmöglichst in die Schweiz zurückzukehren. Sie haben Glück. Mit einem der letzten regulären Flieger kehren sie am 20. März in die Schweiz zurück. «Wir sind in einem absolut leeren Flughafen angekommen. In einem leeren Zug sind wir zum leeren Hauptbahnhof, in einem leeren Zug nach Luzern und von da nach Lungern, wo der Alp-Besitzer beim Bahnhof das Auto bereitgestellt hatte. Er hat auch die Alphütte vorbereitet und Essen eingekauft. Aber gesehen haben wir ihn nicht.» Auch niemand von der Familie ist zur Begrüssung angereist. Schmuckis sind auf der Alp in Quarantäne.

«Die ersten Tage waren saukalt. Die Alphütte hat keine Heizung. Wir haben uns unsere Rückkehr schon etwas anders vorgestellt.» Schmuckis nutzen die Zeit und das schöne Wetter Ende März und Anfang April zum Säubern der Weiden, reparieren Zäune und bereiten die Alp auf ihren zweiten Alp-Sommer vor. Am 8. Mai kommen die Tiere. Das Pamir-Gebirge ist weit weg.

Matthias Erzinger