Verena Fehr, Präsidentin der Stadtharmonie Töss, ist mit viel Energie gesegnet

«Ich bin nicht still»

Ihre Konzertansagen sind eine wahre Freude. Fröhlich, geistreich, unterhaltend und informativ kündigt Verena Fehr jeweils die nächsten Musikstücke und Interpreten an Konzerten, Musikfesten und Wettbewerben in der ganzen Schweiz an. Ist sie mit der Stadtharmonie Winterthur-Töss unterwegs, eilt sie nach der Ansage jeweils auf ihren Platz im Orchester zurück, greift zur Querflöte und spielt mit. Musik ist ihr Leben. Kaum war sie als junge KV-Lehrfrau der Stadtharmonie beigetreten, in der schon ihr Vater Posaune spielte, engagierte sie sich auch gleich im Vorstand. Viele Jahre präsidierte sie die Musikkommission, bis sie vor acht Jahren das Vereinspräsidium übernahm.

Ansage auf Rätoromanisch

Schon früh kristallisierte sich heraus, dass ihr das Ansagen liegt. Als die Stadt Winterthur 1986 das Eidgenössische Musikfest organisierte, war man offenbar bereits auf ihre Ansagenaffinität aufmerksam geworden, denn sie wurde angefragt, ob sie nicht Sprecherin am Musikwettbewerb sein wolle, der während fünf Tagen an verschiedenen Orten in der Stadt ausgetragen wurde. Die Vorgabe war, dass jeder Verein und die vorgetragenen Stücke in der Sprache vorgestellt werden mussten, aus dessen Landesteil die Formation kam. Kein Problem für Verena Fehr. Während ihrer KV-Ausbildung bei Sulzer hatte sie ihr Flair für Fremdsprachen entdeckt. Ihre Fremdsprachenkenntnisse konnte sie zu ihrer grossen Freude in späteren Berufsjahren auf Geschäftsreisen in ferne Länder immer wieder anwenden, unter anderem während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Algerien, wo Sulzer eine Textilfabrik errichtete. Später arbeitete sie für einen amerikanischen Technologieriesen; die Firmensprache war Englisch.

Mit was sie allerdings am Eidgenössischen Musikfest nicht gerechnet hatte, war die vierte Landessprache. Doch Panik ist nicht ihr Ding. Sie erinnerte sich, dass einer der Juroren aus dem rätoromanischen Teil von Graubünden kam. So liess sie sich flugs die von ihr auf deutsch formulierte Ansage von ihm übersetzen, übte mit ihm kurz die Aussprache, betrat die Bühne und legte los. Von den Juroren habe sie viel gelernt, erinnert sie sich. Sie durfte zuhören, wenn diese über die vorgetragenen Stücke diskutierten, um eine Beurteilung abgeben zu können. Die Juroren hätten ihr auch beigebracht, eine Partitur zu lesen. Das eidgenössische Musikfest hat sie in vielerlei Hinsicht geprägt. Sie habe dort zum ersten Mal Höchstklassvereine spielen hören und habe realisiert, was man mit Blasmusik alles machen kann.

Nach ihren Auftritten am Musikfest war sie in der Szene bekannt und es folgten Anfragen für viele weitere Konzertansagen. Mit der Zeit wurde es ihr aber etwas viel, jedes zweite Wochenende irgendwo in der Schweiz einen Anlass zu moderieren. Ein Konzert vorzubereiten brauche Zeit. Sie nahm vorgängig jeweils an ein, zwei Proben teil und las sich in die Geschichte der einzelnen Stücke und der Komponisten ein. «Ich möchte mit den Geschichten, die ich zu den Stücken erzähle, beim Publikum eine Atmosphäre schaffen.» Sie habe zwar das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die ihr viel Stärke und Energie mitgegeben habe, aber trotz der Freude an diesem Engagement sei der Aufwand letztlich zu gross geworden und sie reduzierte ihre Auftritte. Sie arbeitete daneben ja Vollzeit.

Opern hören und Blasmusik spielen

Die Begeisterung für die Musik haben ihr ihre Eltern mit auf den Lebensweg gegeben. In bescheidenen Verhältnissen haben ihr Vater, der als Arbeitsvorbereiter arbeitete und ihre Mutter, die Damenschneiderin gelernt hatte, im Nägelsee Quartier ihre drei Kinder grossgezogen. Einen Luxus leistete sich das musikbegeisterte Paar aber: ein «Zürcher Landabonnement» im Opernhaus Zürich. «Vom Vater habe ich richtig Musikhören gelernt.» Am Wochenende habe er sich ab und an eine Platte mit Opernmusik aufs Grammophon gelegt, sich mit ihr auf den Boden gesetzt und, die Plattenhülle betrachtend und der Oper lauschend, schilderte er ihr die Handlung. An ihrem 12. Geburtstag durfte sie anstelle des Vaters die Mutter ins Opernhaus begleiten: «Land des Lächelns» von Franz Lehár wurde dargeboten. «Diese Aufführung, dieses Erlebnis vergesse ich nie.» Von ihrem Sitzplatz aus sah sie in den Orchestergraben und bewunderte die Musikerinnen und Musiker für ihr Können. Opern hören und Blasmusik spielen ist für sie kein Widerspruch. Ihr Vater habe auch sehr gerne Jazz gehört und bei ihr sei im Jugendalter natürlich Pop und Rock hinzugekommen. Das Spartendenken gab es in ihrer Familie nicht.

Ohne Jugendförderung kein Vereinsnachwuchs

Die Jugendförderung war ihr immer wichtig und ist es bis heute. «Die Jugendarbeit ist der Grundpfeiler des Fortbestands der Musikvereine.» Sie hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Jugendlichen nicht wie früher üblich, von den älteren Vereinsmitgliedern im Instrument angeleitet werden, sondern von pädagogisch ausgebildeten Musiklehrpersonen unterrichtet werden. Sie selber hatte bis Ende Oberstufe begeistert Blockflöte in Heinz Hinriksons «Blockflötechörli» gespielt, bevor sie Querflötenstunden nahm und in die Stadtharmonie eintrat. In die damalige Stadtjugendmusik konnte sie nicht übertreten, die hiess da noch «Knabenmusik» und der Name war Programm.

Vor Jahren überzeugte sie all die verschiedenen Musikvereine in Winterthur, den Nachwuchs gemeinsam professionell auszubilden. «Ich bin nicht still», sagt die gesellige Frau selbstkritisch lachend und meint damit nicht nur ihr quirliges Naturell, sondern auch ihre Charaktereigenschaft, sich für etwas einzusetzen, dass ihr am Herzen liegt. Zehn Jahre war sie im Vorstand der Jugendmusikschule Winterthur tätig. Vor sechs Jahren deckten sich zu ihrem Bedauern die Vorstellungen der verschiedenen Vereine dann nicht mehr und die Musikformationen aus Seen, Veltheim, Wülflingen und Töss gründeten die Musikschule «Intermezzo», die Verena Fehr seither neben ihrer Arbeit als selbständiger Versicherungs- und Unternehmensberaterin leitet. Sie führt auch die Geschäftsstelle des Ostschweizerischen Solisten- und Ensemble-Wettbewerbs, der einmal im Jahr mit rund 800 jugendlichen Teilnehmenden durchgeführt wird. Sie liebt es, Projekte zu konzipieren und zu leiten. Sie hat nicht nur die Gabe, sich mit Anderen in und ausserhalb der Blasmusikwelt zu vernetzen, sie hat auch die Gabe, vernetzt denken zu können, was der Stadtharmonie immer mal wieder spannende Projekte und neues Publikum beschert. Durch ihr grosses Kontaktnetz ist es ihr gelungen, dass die Stadtharmonie vor zwei Jahren auf eine Konzertreise nach Rom fahren konnte, um unter anderem an einer Papstaudienz im Vatikan zu spielen, und im letzten Jahr konnte die Stadtharmonie zusammen mit zwei weiteren Formationen aus dem Kanton Zürich am Fête des Vignerons in Vevey aufspielen. Für 2021 hat sie bereits das eidgenössische Musikfest in Interlaken ins Auge gefasst.

Regina Speiser