Eine Fotografie aus dem Landesmuseum vor 1920: Der Sarkophagdeckel aus Töss auf einem neugotischem Sockel im «Sammlungsraum mit gothischen Grabdenkmälern».

Das Grabmal der Elisabeth von Ungarn aus dem Kloster Töss

Zuerst Heiligenschrein, dann privater Grottenschmuck und schliesslich Museumsstück

Der Sarkophagdeckel der Dominikanerin Elisabeth von Ungarn (+1336) ist eines der wenigen Objekte, die aus der Tössemer Klosterzeit bis heute erhalten sind. Obschon das Grabmalfragment mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen war, vermag erst eine neue, an der Universität Zürich entstandene Masterarbeit die Fragen nach seiner Bedeutung zu beantworten. Abenteuerlich ist zudem der Weg, den das Denkmal von der Konventskirche bis ins Landesmuseum genommen hat.

Viel wissen wir nicht über den Ursprung des Grabmals und die Umstände seiner Entstehung. Die einzige Schriftquelle ist die Lebensbeschreibung der Klosterfrau, die von ihrem Tod im Kloster Töss und der Umbettung des Leichnams von einem hölzernen «Totenbaum» in ein steinernes Grabmal nach 30 Wochen berichtet. In diesem Grabmal sei der Leichnam über der Erde erhaben gelegen. Die Vermutung liegt also nahe, dass es sich bei der heute noch vorhandenen steinernen Platte um den Deckel dieses Grabmales handelt. Wie literaturwissenschaftliche Forschungen ergeben haben, stammt die älteste erhaltene Abschrift der Legende aus den 1440er-Jahren, also über 100 Jahre nach den Ereignissen. Nichtsdestotrotz darf davon ausgegangen werden, dass der Text selbst noch im Laufe des 14. Jahrhunderts verfasst wurde.

Katholisch verblendetes Hirngespinst

Auch die Kunsthistoriker waren sich nicht immer einig, was die Bedeutung des Grabmals anging und wie alt es tatsächlich war. Bereits 1625 untersuchte Heinrich Murer die Platte zum ersten Mal. Er schuf auch die erste bekannte Zeichnung des Grabmales. Dabei rekonstruierte er dessen Aussehen, wie es in der Heiligenvita überliefert ist. Er war überzeugt, dass es sich tatsächlich um den Rest des Grabmals der als heilig verehrten Elisabeth von Ungarn handelte. Heinrich Murer war Mönch im Kartäuserkloster Ittingen gewesen, und die Legende muss ihm zugänglich gewesen sein, denn über weite Strecken folgt sein Kapitel über Elisabeth dem Wortlaut des mittelalterlichen Textes.
Als 1770 der Zürcher Gelehrte Johann Jakob Breitinger den Grabmaldeckel im Auftrag einer habsburgisch-österreichischen Gesandtschaft begutachtete, war ihm die Legende offensichtlich nicht mehr bekannt und so tat er Murers Beschreibung als katholisch verblendetes Hirngespinst ab. Weder seien während seiner archäologischen Ausgrabungen in der Kirche zu Töss Knochen der Prinzessin aufgetaucht, noch liessen sich die Wappen auf der Oberseite der Platte mit dem ungarischen Königshaus in Verbindung bringen. Ausserdem sei das Grabmal erst im 15. Jahrhundert entstanden. Damit lag er jedoch falsch.

Erste Forschungsergebnisse

Ende des 19. Jahrhunderts setzte mit Johann Rudolf Rahn die kunsthistorische Forschung zur Platte ein und stellte einiges richtig. So las Rahn die Wappen auf der Oberseite als ungarisches Länderwappen (Bindenschild) und Wappen der Arpadendynastie, der Elisabeth entsprungen war. Bei der Datierung war er sich nicht sicher, plädierte aber eher für eine Entstehung im 15. Jahrhundert. Rahn meinte jedoch, die Platte habe schon immer auf Stützen gestanden und der Leichnam der Elisabeth könne aufgrund der geringen Ausmasse niemals darin Platz gefunden haben, sondern müsse im Boden unter dem Grabmal bestattet gewesen sein. 1942 schliesslich veröffentlichte Emil Delmar, ein aus Ungarn geflohener jüdischer Industrieller und Kunstsammler, seinen Aufsatz, in dem er entschieden für eine Entstehung kurz nach dem Tode der Prinzessin, wie in der Legende beschrieben, plädierte. Er trat auch für eine Rekonstruktion des Grabmals als Sarkophag ein und verglich das Stück mit Königinnengrabmälern wie demjenigen der Anna im Basler Münster.

Was die Gestaltung bedeutet

Delmar hatte im Wesentlichen recht – doch etwas konnte auch er nicht erklären: Die Gestaltung des Deckels findet weder unter mittelalterlichen Adelsgrabmälern noch bei Grabmälern von Heiligen eine Entsprechung. Im 14. Jahrhundert war seine dachförmige Gestalt aussergewöhnlich und Adelige liessen zwar ihre Wappen auf den Grabmälern abbilden, aber niemals die Symbole der vier Evangelisten, die auf unserem Stein so prominent auftreten. Die üppige Verzierung mit Blättern und Ranken ist ein weiteres aussergewöhnliches Element. Weder kirchliche Würdenträger noch Adlige liessen so viel pflanzliches Ornament auf ihren Grabmälern wuchern.
Die Art und Weise, wie die Wappen des Königreichs Ungarn von den Evangelistensymbolen – den Löwen für Markus, den Menschen für Matthäus, den Stier für Lukas und den Adler für Johannes – eingefasst werden, erinnerte die mittelalterlichen Betrachterinnen an andere Darstellungen. Sie hatten eine ähnliche Anordnung schon bei goldenen Kruzifixen, in Gewölbemalereien oder auf Altartüchern gesehen: In der Mitte etwas, das als heilig identifiziert werden sollte; der Gekreuzigte, Gottvater oder das Lamm Gottes und darum herum die Evangelistensymbole. Wenn diese Darstellungsweise nun auf dem Grabmal der Tösser Nonne auftauchte, konnte das nur bedeuten, dass es sich um eine Heilige handelte und dass ihre Wappen in die Sphäre des Heiligen erhoben werden sollten. Das wurde noch unterstrichen von den Blattranken und anderen pflanzlichen Ornamenten auf dem Grabmal. Gerade die Ranken sind hier nicht nur Verzierung, sondern verbinden die Wappen optisch mit den Evangelistensymbolen. In den mittelalterlichen Klöstern wurden Laub und Ranken mit dem Ur-Element aus der griechischen Schöpfungsgeschichte in Verbindung gebracht. Gott hatte daraus die Erde geformt und so wurden sie zu Symbolen für die göttliche Natur des Körpers, der in dem Grabmal lag.

Ein heiliges Geschlecht

Elisabeth von Ungarn war nämlich nicht nur eine der vielen Frauen, die es im Mittelalter in die Klöster zog. Sie kam aus dem Königsgeschlecht der Arpaden, das als heilig galt. Insbesondere ihre Frauen, die Königinnen und Prinzessinnen, gründeten Klöster oder traten in eines ein und gaben so ihre gehobene gesellschaftliche Stellung zugunsten eines Lebens auf, das als heiligmässig angesehen war. Die bekannteste Vertreterin des Geschlechts, Elisabeths Grosstante Elisabeth von Thüringen, wurde bereits kurz nach ihrem frühen Tod heiliggesprochen. Diese Ehre wurde der Tösser Elisabeth nie zuteil, aber ihre Legende und nicht zuletzt ihr Grabmal kündeten von der Heiligkeit, die sie dennoch umgab.

Die Grabplatte nach der Reformation  

Die Erinnerung an das klösterliche Leben in Töss blieb nicht zuletzt dank des Grabmals der Elisabeth lebendig. Das ungarische Kreuz, das ihren Sarkophagdeckel ziert, diente dabei über Jahrhunderte als grafisches Zeichen für das Dominikanerinnenkloster. Noch heute ist das Motiv im Wappen von Töss enthalten.

Das in der Konventskirche aufgestellte Grabmal war während der Reformation zerstört worden, der Sargdeckel wurde im frühen 17. Jahrhundert aber erneut in der Kirche aufgestellt und in den folgenden Jahrzehnten mehrfach bewegt. So kam es 1704 zu einer Umplatzierung, als der Ostteil der Kirche in eine Kornschütte umfunktioniert und der reformierte Predigtraum neu im Westteil des Gebäudes eingerichtet wurde. Damals verbrachte man den Grabdeckel unter die Kanzel, senkte ihn nah der Südwand angrenzend ein und schützte ihn mit einem hölzernen Deckel. Im Jahr 1770 stand das Grabmalfragment wiederum in der Diskussion. Als Kaiserin Maria Theresia Untersuchungen einleitete, um die Überreste der in der Schweiz bestatteten königlich-kaiserlich und herzoglichen Habsburger zusammenzutragen und in St. Blasien im Schwarzwald zu vereinen, kam auch eine Kommission nach Töss. Damals wurde die Platte unter der Leitung des Grossmünster-Chorherrn Johann Jakob Breitinger gehoben, mangels Funden aber wieder in den Boden gelassen.

Heinrich Rieters heimlicher Grabraub

Bis 1855 verblieb der Grabdeckel in der Kirche. Nachdem der Fabrikant Heinrich Rieter (1814–1889) die Klosterkirche erworben hatte, um das Gebäude als Fabrikhalle zu nutzen, stellte sich aber erneut die Frage: Wohin mit dem mittelalterlichen Denkmal? Während die Kirchenpflege Töss das Objekt – nach Diskussionen und Rücksprache mit dem Kanton Zürich – in die neue reformierte Kirche oder auf den Friedhof überführen wollte, verfolgte Rieter eigene Pläne. Vor der Ausräumung des Gotteshauses durch die Kirchenpflege schaffte er die Grabplatte heimlich zur Seite und liess sie 1862 als Grottenschmuck in seinem Landschaftsgarten am Brühlgut aufstellen. Ob Rieter der adligen Klosterfrau mit der Platzierung in der Grotte eine neue Gedenkstätte errichten wollte oder ob das Erinnerungsstück nicht vielmehr als exklusives Dekorelement gedacht war, bleibe dahingestellt.

Wie die Platte ins Museum kam

In der Familie des Fabrikanten scheint der mittelalterliche Grottenschmuck später nicht auf einhellige Freude gestossen zu sein. Nach dem Tod Rieters 1889 liessen die Söhne den Park nämlich umgestalten, und als das Schweizerische Landesmuseum 1898 nach Ausstellungsobjekten für das neue Haus suchte, boten sie die Grabplatte in einem Brief als Geschenk an. Das Interesse seitens des Museums war gross. Denkmäler aus dem einst stolzen Dominikanerinnenkloster Töss waren eine Rarität, und so nahm Museumsdirektor Heinrich Angst die Schenkung gerne entgegen. Das in der Folge mit einem Fuhrwerk nach Zürich transportierte Grabmalfragment wurde wenig später im Landesmuseum auf einen neugotischen Sockel montiert und im «Sammlungsraum mit gothischen Grabdenkmälern» als zentrales Ausstellungsstück gezeigt.

 Thomas Zweifel, Kunsthistoriker, Olten
Silvia Volkart, Kunsthistorikerin, Winterthur

In der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 79, 2022 Heft 2 publizierten die Autorin und der Autor einen ausführlichen, reich bebilderten Aufsatz zum Thema. Die 2019 entstandene Masterarbeit von Thomas Zweifel an der Universität Zürich behandelt etwas allgemeiner auch «Die Grabmäler der Frühen Habsburger aus kunsthistorischer Sicht» und kann beim Autor bezogen werden.