«Ich exponiere mich nicht so gerne», sagt Lilian Banholzer in ihrer ruhigen, unaufgeregten Art. Im Rampenlicht stehen zu müssen war ihre grösste Befürchtung, als sie 2006 angefragt wurde, ob sie nicht etwas weiter vorne auf der EVP-Gemeinderatsliste kandidieren würde. Sie sagte dennoch zu. Fünf EVP-Vertreterinnen und Vertreter schafften den Sprung in den Grossen Gemeinderat. Lilian Banholzer erreichte den siebten Listenplatz. Doch Ruth Kleiber wechselte in jener Legislaturperiode in den Kantonsrat und Ursula Martinelli trat zurück, womit Lilian Banholzer im Mai 2008 in den Gemeinderat nachrutschte.

Schnell zeigte sich, dass ihre Befürchtungen allzu stark im Rampenlicht zu stehen, unbegründet waren. Die mediale Aufmerksamkeit für die Arbeit im Gemeinderat und die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte selbst ist nicht zu vergleichen mit jener für den Nationalrat etwa. Auf höhere Ebenen der Politik wollte sie denn auch nie. «Dafür bin ich zu harmonie-bedürftig. Grosse Auseinandersetzungen zu führen liegt mir nicht so, aber ich arbeite gerne konstruktiv mit anderen zusammen.» Im Gemeinderat gehe es weniger um die grossen gesellschaftlichen Fragen», sondern vor allem um Sachpolitik mit konkreten Aus-wirkungen auf das direkte Lebensumfeld, und das gefiel ihr. Auch die öffentliche Kritik halte sich einer kleinen Partei gegenüber in Grenzen. «Wir stellen ja auch keine radikalen Forderungen.»

Als die ausgebildete Primarlehrerin und Mutter von drei Kindern im Alter von 47 Jahren in den Gemeinderat nachrutschte, hoffte sie, in der Sachkommission Soziales und Sicherheit Einsitz nehmen zu können. Doch weit gefehlt. Die grossen Parteien, die viele Mit-glieder im Gemeinderat haben, können meist den beruflichen Fähigkeiten ihrer Mitglieder entsprechend die Kommissionssitze beset-zen; einige Mitglieder bleiben ohne Kommissionssitz zurück.  Anders sieht das aus bei klei-nen Parteien: Dort sitzen meist alle Gemeinderäte in Kommis-sionen und jemand muss auch noch das Fraktionspräsidium führen. So trat Lilian Banholzer in die Sachkommission Bau und Betriebe (BBK) ein. Am Anfang sei vieles für sie in der BBK  völlig neu gewesen, es ging zum Beispiel um Wärmedäm-mung, Glasfasernetze und andere technische Themen, aber «ich fand das neue Themenfeld sehr spannend». Sie habe viel gelernt und schon bald seien Verkehrs- und Umweltfragen ihre politischen Lieblings-themen geworden. Höhepunkte in ihrer politischen Karriere zu nennen fällt ihr schwer. «Man lanciert einen Vorstoss ja nicht alleine, es ist immer eine  Zusammenarbeit über Parteien hinweg.» Was sie rückblickend aber freut, sind etwa der neu ausge-arbeitete Leitfaden für die Bevölkerung zur Ein-führung einer erwünschten Tempo 20/30-Zone in einem Quartier oder die von ihrer Partei beantragte  Taktverdichtung des 11er-Busses in die Steig nach Einführung der neuen Busrouten.

Nach sechs Jahren im Gemeinderat übernahm Lili-an Banholzer im Sommer 2014 auch das Fraktions-präsidium, nachdem Nik Gugger in den Kantonsrat wechselte, Barbara Günthard Fitze Gemeinderats-präsidentin wurde und die anderen EVP-Gemeinderäte noch nicht so lange im Rat sassen. Dieses Amt beinhaltet viel Organisatorisches, die Absprache innerhalb der Partei wenn es um Positionen bei Vorstössen geht, aber auch die Kommunikation mit anderen Parteien und die Teilnahme an der Inter-fraktionellen Konferenz.

Ein Jahr später nahm die Tössemer Gemeinderätin dann auch noch Einsitz in der Spezialkommission zur Verselbständigung von Stadtwerk. In einer Kommission darf man maximal zwei Legislaturperioden bleiben. Nach ihrem Austritt aus der BBK im Mai 2016 wechselte sie nicht sofort in eine andere Kommission; sie hatte ja das Fraktionspräsidium und die Arbeit in der Spezialkommission, die sie bis Februar 2018 beschäftigen sollte. Ohne Kommissionssitz sei man aber auch weniger involviert in die Geschäfte, was dann halt auch weniger interessant sei, blickt sie zurück. Deshalb nahm sie im Mai 2018 wieder Einsitz in einer Kommission: der Sachkommission Bildung, Sport und Kultur. Nach all den Jahren in der kommunalen Politik befand Lilian Banholzer, dass fast drei Legislaturperioden genug für sie seien und sie trat, wie intern schon länger kommuniziert, im Juli 2019 aus dem Rat aus.

Aus sozial engagiertem Elternhaus

Im Alter von 26 Jahren ist sie der EVP beigetreten. Das soziale Engagement dieser Partei hatte den Aus-schlag gegeben. Mit sozialem Engagement ist sie aufgewachsen. Während ihrer Kindheit hatten ihre Eltern oft Jugendliche, die aus verschiedenen Grün-den einen Ort zum Wohnen brauchten, im Haus an der Lindstrasse aufgenommen. Die Mutter war in der Jugendhilfe tätig, EVP-Mitglied und von 1986 bis zu ihrem Wegzug aus Winterthur 1993 auch EVP-Gemeinderätin.

Lilian Banholzer hatte schon als Kind Lehrerin wer- den wollen. Doch schon während der Ausbildung kamen ihr Zweifel, ob das der richtige Beruf für sie sei. Nach verschiedenen Praktika und Stellvertretungen wurde sie mit 25 Jahren zum ersten Mal Mutter.  Die junge Familie, Mitglied der Evangelisch-Methodistischen Kirche Winterthur, zog in die Hauswarts-wohnung über der ehemaligen Kirche der EMK an der Grenzstrasse. Einige Jahre später waren Ban-holzers zu fünft. Die Liegenschaft wurde damals als Lagerhaus vermietet und Lilian Banholzer war für die Hauswartung sowie für die Vermietungen zuständig. 1998 zog die Familie um in eine private Liegenschaft im Tössfeld.

Als die Kinder etwas grösser waren, bewarb sich die gebürtige Winterthurerin auf ein Stelleninserat des Stadtarchivs Winterthur: Eine Mitarbeiterin mit guter Allgemeinbildung und Kenntnis der Stadt war gesucht. Sie bekam die Stelle und arbeitet bis heute dort.

Was sie mit der neu zur Verfügung stehenden freien Zeit – sie schätzt den Aufwand im Gemeinderat auf rund 20 Stellenprozente – machen wird, hat sie noch nicht konkret bestimmt. Neben ihrer 70-Prozent-Anstellung im Stadtarchiv freut sie sich nun aber, ihren Enkel vermehrt hüten zu können, eventuell das Geigenspielen aus früheren Jahren wieder zu aktivieren oder auch eine Fremdsprache aufzufrischen. Als EVP-Co-Präsidentin möchte sie zudem parteiintern ein paar Projekte angehen, für die bis jetzt keine Zeit war und sich eventuell in der Freiwilligenarbeit engagieren.

Für die Zukunft von Töss wünscht sie sich, dass das Zentrum wieder ein richtiger Treffpunkt für die Quartierbevölkerung wird, mit einem schön gestalteten Dorfplatz, der zum Verweilen einlädt und mit einer freundlich gestalteten Ladenpassage. Weiter hofft sie, dass die Zürcherstrasse durch eine gestalterische Aufwertung ihren trennenden Charakter etwas verliert und wieder quartierverträglicher wird.

Text: Regina Speiser

Bild: Sascha Hänzi