Durch Engagement wird der Wohnort zur Heimat
«Aufgewachsen bin ich Töss» sagt Rosmarie Peter als Einstieg zu unserem Gespräch. Um sich dann gleich zu korrigieren. «Nein, natürlich nicht. Aufgewachsen bin ich in Pfungen…» «Erst» seit 18 Jahren lebt die 54jährige in Töss, zuerst an der Emil Klöti-Strasse, jetzt an der Rebwiesenstrasse. Aber intuitiv hat sie das Gefühl auch in diesem Quartier aufgewachsen zu sein. So verinnerlicht hat sie den Stadtteil.
Lehrerfamilie, Einfamilienhaus – das Umfeld ihrer Familie ist mittelständisch, bildungsgeprägt. Mit 10 dann das grosse Abenteuer, das sie lange prägen wird: Die Familie zieht nach London. Ein völlig anderes kulturelles Umfeld, die Deutsche Schule, die damals viel innovativeren Unterricht gestaltet als die Dorfschule in Pfungen, eine Grossstadt, und – am prägendsten, die englische Sprache begleiten seither Rosmarie Peter.
Zurück in der Schweiz folgt das Gymi in Winterthur. Nach der Matura hat Rosmarie genug von der Schule, sie kann sich nicht für ein Studium entscheiden. Stattdessen beginnt sie bei der Buchhandlung Stäheli am Rennweg in Zürich eine Buchhändler-Lehre. Die Buchhandlung ist auf englische Literatur spezialisiert…
Schon kurz nach der abgeschlossenen Lehre ist Rosmarie Peter nicht einfach eine Angestellte. Sie engagiert sich im Angestelltenverband des Schweizer Buchhandels – und präsidiert diesen Verband schliesslich auch. Zunehmend wird sie mit juristischen Fragen konfrontiert. Von ihrem Vermieter verlangt sie, sich ans Mietrecht zu halten und Hypothekarzinssenkungen auch an die Mietenden weiterzugeben. In der Wohnung unter ihr leben Asylsuchende aus Kosovo, die sie berät. Als Präsidentin der Buchhandlungsangestellten stehen arbeitsrechtliche und Sozialversicherungsfragen an. «Irgendwann haben mich diese Fragen dann immer stärker interessiert, mehr als die Bücher, die ich als Buchhändlerin lesen sollte.»
So studiert sie nach zehn Jahren als Buchhändlerin und Arbeitnehmenden-Vertreterin Jus. Noch während dem Studium stellt sie sich vor, später als Anwältin zu arbeiten. Entsprechend macht sich auch nach Abschluss des Studiums ein Praktikum am Bezirksgericht Bülach, um zur Anwaltsprüfung zugelassen zu werden. «Da lernt man vor allem Entscheide formulieren», der Schwerpunkt lag bei «Schulden, Betreibungen und Konkursverfahren», aber auch Familienrecht. Während dem Praktikum übernimmt sie Mandate im Auftrag der Freiplatzaktion für Asylsuchende. «Das war etwas frustrierend. Da verliert man meistens. Das war dann mit ein Grund, warum ich schliesslich in der Justiz hängen blieb und nicht Anwältin wurde. Als Anwältin verlierst du auch Fälle und je nach Gebiet halt fast immer. Damit hatte ich Mühe.» Heute arbeitet sie auf für den Bezirksrat Bülach. «Wir sind die Aufsichtsbehörde über die Gemeinden. Also Wahlen, Abstimmungen oder Entscheide von Behörden können bei uns angefochten werden. Ausgenommen sind Baubewilligungen und Steuerrekurse, für die je separate Gerichte bestehen. Aber auch Entscheide der KESB die angefochten werden, zum Beispiel Fremdplatzierungen von Kindern, werden in erster Instanz durch den Bezirksrat entschieden». Für Rosmarie Peter ist der Rechtsstaat ein wichtiges Prinzip. «Gerade bei Gewaltverbrechen finden viele Leute, ein Angeklagter sollte einfach ins Gefängnis kommen und verstehen nicht, warum aufwändige Verfahren durchgeführt werden. Aber es ist wichtig, dass auch scheinbar klare Verbrechen umfassend untersucht und die Schuld einer bestimmten Person sorgfältig geklärt wird. Das unterscheidet unser System von einer Willkürjustiz, auch wenn das in der Öffentlichkeit manchmal nicht verstanden wird.»
In Sachen «Erb»
«Auch der Fall Erb ist so ein Fall. Auch da haben viele Leute nicht verstanden, warum ein derart langes Verfahren durchgeführt wurde.» Angesichts der Komplexität habe die Zürcher Justiz das Verfahren aber in einer angemessenen Zeit durchgeführt, findet Rosmarie Peter. Hautnah hat sie den Fall über Jahre verfolgt. Warum eigentlich? «Mir ging es schon stark um das Zentrum Töss, das ja Teil der Konkursmasse der Familie Erb war. Für mich stand nie die Höhe der Strafe für Rolf Erb im Vordergrund, sondern vor allem, dass das Zentrum Töss von der Familie wegkommt und saniert werden kann.» Hunderte von Stunden hat sie dafür aufgewendet – und war auch für Medien manchmal Auskunftsperson. «Wichtig für uns war auch, immer wieder Druck auf die Abteilung Stadtentwicklung der Winterthurer Verwaltung und die Politik auszuüben, damit die sich für eine gute Lösung für das Zentrum engagierten. Beim Strafverfahren hatten wir natürlich als Quartierverein keinen Einfluss, aber wir mussten wissen was läuft.» Nun hofft sie darauf, dass beim Zentrum Töss bald eine positive Entwicklung einsetzt.
Der Quartierverein als Basis
Seit sie vor über zehn Jahren beim Quartierverein Töss-Dorf aktiv wurde hat sie zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Vorstand den Verein neu belebt und ihm auch verstärkt Gehör verschafft. «Die Freiwilligenarbeit hat mir auch viel gebracht, in dem ich halt auch Leute kennengelernt habe. Und für mich war es spannend, meine beruflichen Kompetenzen auch einsetzen zu können. Ich wäre jetzt weniger geeignet, wenn es darum gehen würde, eine Festhütte aufzubauen. Aber in unserem Gebiet kristallisieren sich viele Bereiche der Stadtentwicklung, und so konnte ich mein Interesse für Politik und die Juristerei einbringen.» In einigen Bereichen sieht sie durchaus Erfolge, in anderen stehe noch viel Arbeit an. So sei es gelungen, das Rotlicht-Milieu entlang der Zürcherstrasse zumindest nicht weiterwuchern zu lassen, auch den Güterschuppen und das GZ Bahnhof sieht sie als Erfolg, andererseits habe man bei der Zentrumsentwicklung und der Zürcherstrasse selbst wenig erreicht. «Aber wir werden weiter dranbleiben. Denn eigentlich wird ein Wohnort ja erst durch Engagement im Umfeld so richtig zur Heimat.»