Toni Schneider, «Bierverkäufer»

Toni Schneider ist in der Bierwelt ein Begriff: Jahrelang war er Verkaufsdirektor von Heineken in der Schweiz. Aufgewachsen ist er auf dem letzten Bauernhof von Töss im Auenrain in den 1960er-Jahren. Er lernte Lastwagenmechaniker, war Bier- chauffeur, arbeitete in der Entwicklungszusammenarbeit in Indonesien und stieg im Heinekenkonzern in eine Top-Position auf. Seit kurzem ist er nun wieder näher an der Basis tätig: als Verkaufsleiter der Brauerei Doppelleu in Winterthur.

«Rund 20 Biere am Tag – und dann noch den Last- wagen mit links und rechts fünf Zentimetern Raum perfekt einparken. Nein, das habe ich nicht ge- schafft.» Wir sind im Jahr 1980. Toni Schneider ist auf der «Fasstour». «Fasstour» heisst: Bierfässer in die Winterthurer Restaurants in der Altstadt liefern. Und die 67 Kilogramm schweren Fässer in den Keller hinuntertragen. Der 20-jährige Toni Schneider schafft das nur knapp. Er hat soeben eine Stelle als Lastwagenmechaniker bei Haldengut angetreten, musste nun aber für einen Chauffeur einsprin- gen. Wenn die Fässer im Keller waren, gab’s in der Gaststube ein «Grosses». Morgens um halb sieben. «Nein, das habe ich nicht geschafft.» So muss der Kollege das Bier trinken, um nicht unanständig zu sein. So geht das den ganzen Tag. Abends muss Toni Schneider den Lastwagen in die Garage stellen, links und rechts je fünf Zentimeter Spiel. Die Sonne blendet im Rückspiegel, und so fragt er den Beifahrer, der alle seine Biere getrunken hat, und die Fässer spielend hinuntergetragen hatte, ob er eventuell nach hinten gehen könne um zu schauen, dass der Lastwagen richtig geparkt werde. «Jetzt reicht’s», sagt dieser. «Zuerst trinkst du die offerierten Biere nicht, und abends kannst du trotzdem nicht in die Garage einparkieren.» Der ausgefallene Chauffeur, wir nennen ihn mal Fritz, habe beides mit links geschafft. «Unvorstellbar», sagt Toni Schneider heute.

Der Bauernhof im Auenrain

«Dass ich mal oberster Bierverkäufer eines mul- tinationalen Konzerns in der Schweiz werde, hät- te ich nicht gedacht.» Bis er achtjährig ist, wächst Toni Schneider auf einem der letzten Bauernhöfe in Töss auf. Im Auenrain. Dort stehen heute die grosse AMAG-Garage, das Restaurant Billabong und Indus- triegebäude. «Wir hatten kaum eigenes Land, aber viel gepachtet, so etwa in der Auwiesen, bei der ehemaligen Neumühle, im Dättnau, dort wo heu- te das Schulhaus Laubegg steht und in der Steig.» Dann kommt Mitte der 1960er-Jahre die Autobahn. Sie frisst einen grossen Teil des Pachtlandes von Toni Schneiders Eltern auf. Oder die Besitzenden verkau- fen es. Für den kleinen Toni Scheider ist der Auto- bahnbau ein Erlebnis. Er steht an der Baustelle und macht «Autostopp». Manchmal nimmt ihn einer der Chauffeure mit und er fährt auf der Grossbaustelle hin und her. Mit dem Grossvater schaut er zu, wie das Hotel Krone angezündet wird, um das Löschen zu üben, wie der Kronensaal, in dem die Tössemer jahrzehntelang gefeiert hatten, was es zu feiern gab, in Flammen aufgeht. Mit dem Grossvater eilt er auch nach Wülflingen, weil dort die eben gebaute Auto- bahnbrücke zusammenbricht. Und dann: Die Familie muss 1968 den Hof aufgeben, da das Pachtland weg ist. Der Vater arbeitet fortan im Winter in den Wäl- dern, schleppt mit dem Traktor Bäume. Im Sommer arbeitet er als Lastwagenchauffeur. Jahrzehntelang hat die Familie den Hof bewirtschaftet. Am Ende blieb ihr nur wenig Land. «Nein, wir hatten kaum Land zum verkaufen». Der Vater muss hart arbei- ten, die Kinder müssen helfen. «Die Schule lief da eigentlich eher so nebenbei mit». Neben dem Sekun- darschulhaus Rosenau hat der Toni-Milchverband seine Lastwagenwerkstätte. Toni Schneider geht hin und fragt nach einer Lehrstelle. Er hat Glück, er wird Lastwagenmechaniker.

Migros? Coop? Volg? Haldengut!

«Du musst weiter», sagt ihm der Lehrmeister nach der Lehre. Toni Schneider will aber nicht einfach in eine Lastwagengarage, er will zu einer Firma, die Lastwagen hat, aber eigentlich etwas anderes macht. In Winterthur stehen neben Toni nur vier Möglichkei- ten zur Auswahl: Migros, Coop, Volg und die Braue- rei Haldengut. Toni Schneider fährt mit dem Fahrrad zur Brauerei und fragt nach einer Stelle. «Eigentlich brauchen wir niemanden», sagt der Werkstattchef, «aber Junge brauchen eine Chance» – und so be- ginnt 1980 die Haldengutlaufbahn von Toni Schnei- der. Neben dem Werkstattdienst muss er öfters auch Chauffeure ersetzen. Womit wir wieder beim «Gros- sen» sind, dass er morgens um halb sieben trinken sollte.

Lange Tage

Zurück Mitte der 1960er-Jahre. Toni Schneider geht als Erstklässler im «Zelglischulhaus» zur Schule. Morgens um sechs Uhr trifft sich die Familie am «Zmorge-Tisch». Die Eltern, der jüngere Bruder und die zwei noch jüngeren Schwestern. Der Vater muss um 7 Uhr los mit den Pferden: arbeitet im Winter in den städtischen Wäldern und hilft den Waldarbei- tern, die frisch geschlagenen Bäume aus dem Wald «herauszuschleiken». Manchmal dauert der Weg in den Wald über eine Stunde. Abends kommen Pferde und Vater erst gegen 19 Uhr zurück.

Lange Tage. Lange Tage auch für den Erstklässler. Nach dem «Zmorge» hilft er noch, um halb acht geht’s in die Schule. Über Mittag trifft sich die Fa- milie wieder zu Hause. Auch die Grosseltern sitzen mit am Tisch. Kommt Toni dann von der Schule heim, muss er wie alle anderen auf dem Hof helfen. Heu bereitmachen, misten, danach melken. «In der Zeit, in der ich eine Kuh gemolken habe, schaffte mein Vater fast deren zehn.» Nach dem Nachtessen sind die Hausaufgaben dran. «Die Schule hat keine Priorität, lief nebenbei.» Auch in den Schulferien arbeitet die ganze Familie. In den Herbstferien müssen die Zuckerrüben, die «Runggle», geerntet werden. Eine nach der anderen muss geputzt werden. Ist die Ernte eingebracht, reist die Familie als Belohnung für einen Tag an die OLMA. Erst nach der Aufgabe des Hofes bleibt Toni etwas mehr Freizeit. «Ich hatte deutlich mehr Zeit, und am Abend lag auch mal ein Fussballspiel mit den anderen Kindern drin.»

Die langen Tage der Kindheit, sie holen Toni Schnei- der wieder ein. Er hat mit 25 Jahren schon die Meisterprüfung als Mechaniker gemacht, aber da in der Lastwagenwerkstatt keine Aufstiegsmöglichkeiten bestanden, verlässt er Haldengut kurz darauf und wechselt zu Mercedes Benz, als Lehrer für Mechani- ker. Auch da ist er aber nur ein Jahr. «Während den Weihnachtsferien traf ich einen Schulkollegen, der in der Entwicklungszusammenarbeit in Indonesien ar- beitete. Er erzählte mir von seiner Arbeit – und dass sie einen wie mich gebrauchen könnten.» Wenig später ist der Vorgesetzte seines Freundes in Winterthur – und die Zukunft für Toni Schneider wäre klar – wenn da nicht die Freundin wäre. Als Freundin kann sie ihn nicht begleiten, erhält kein Visum – also beschliessen die beiden kurzerhand, zu heiraten. Und schon im Frühjahr sitzen sie im Flugzeug nach Indonesien. Nach der dreijährigen Vertragszeit kommen Toni Schneider und seine Frau zurück. Haldengut heisst der neue Arbeitgeber wieder, aber Tonis Zeit in der Garage ist zu Ende: Er arbeitet nun im Bereich Logistik. Er möchte unbedingt ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft an der Uni Sankt Gallen machen – aber dazu wäre ein Hochschulab- schluss und eine entsprechende Führungserfahrung notwendig. Dank der Fürsprache seines Chefs nimmt die Hochschule Toni Schneider mit seinem Sekundarschulabschluss auf. Und er schliesst das Studi- um erfolgreich ab. Er übernimmt die Region Zürich als Verkaufsleiter, dann die deutsche Schweiz, und schliesslich ist er Direktor Logistik und Verkauf für die ganze Schweiz. Allerdings nicht mehr bei Halden- gut, sondern im Heineken-Konzern, der inzwischen die traditionelle Winterthurer Brauerei aufgekauft hat. Nachdem Heineken auch die Luzerner Brauerei Eichhof übernommen hatte, wird Luzern zu seinem Arbeitsort. Die Familie aber will in Winterthur bleiben, und so pendelt er. Fährt morgens um halb sechs los, um ohne Stau Zürich respektive den Gubrist passieren zu können, und kommt abends nach sieben Uhr zurück. Lange Tage.

Zurück an die Verkaufsfront

«Vor zwanzig Jahren hatten wir in der Schweiz wegen des Bierkartells noch eine Bierwüste. Die Brauereien produzierten ein Lagerbier, ein Spezli wie die Halden- krone, wenn es hochkam noch ein Amber-Bier. Die Brauereien verdienten viel Geld, und wenn sie es für notwendig befanden, erhöhten sie den Bierpreis um fünf Rappen.» Erst mit dem Fall des Kartells entstand effektiv ein Markt. Der löste einen Innovationsschub aus, der in den Ländern rundum schon längere Zeit im Gang war. Heute haben wir in der Schweiz rund 800 registrierte Brauereien, bald werden es tausend sein, und eine wunderbare Biervielfalt.»

Toni Schneider will bei dieser Entwicklung wieder näher dabei sein. Seit dem Frühjahr ist er bei der Winterthurer Brauerei Doppelleu tätig als Verkaufs- direktor. «So bin ich wieder direkt an der Front – und habe erst noch viel mehr Zeit, weil der lange Arbeitsweg wegfällt.» Ende Oktober findet das von Schneider aufgebaute Oktoberfest in der Winter- thurer Reithalle statt. An sich eine klare Sache für Haldengut, respektive Heineken. Doch dieses Jahr kommt auf dem Vorplatz auch «Chopf ab» zum Zug. Toni Schneider hat’s gerichtet.

Den Bauernhof im «Auenrain» gibt es nicht mehr – die Familie hat auf der Liegenschaft ein Zweifamilienhaus gebaut. Die Mutter von Toni Schneider lebt da – und am Sonntagnachmittag trifft sich die Familie ab und zu da zum Kaffee. Toni Schneider und seine Familie leben zwar nicht in Töss. Der Auenrain aber ist noch immer ein Dreh- und Angelpunkt der Familie. Und: 20 Biere trinkt Toni Schneider auch heute nicht an einem Tag.