Walter Graber, Antifaschist, Spanienkämpfer aus Überzeugung

Wenn heute Rechtsextreme wieder Auftrieb haben, in Deutschen StädtenJagd auf Fremde machen, errinnere ich mich an Walter Graber. «Wadi» wie er genannt wurde, starb bereits vor 14 Jahren. Sein Leben lang kämpft und warnt er vor Nationalsozialismus, vor Faschismus und Fremdenfeindlichkeit. Er damit immer ein linker Ausseinseiter. Das nachfolgende Portrait entstand 1990.

Er wohnt mit seiner Frau Theres ganz am Ende von Töss, an der Krummackerstrasse im Eichliackerquartier. Seit nunmehr fast fünfzig Jahren. Schon als Vierzehnjähriger setzt er sich 1928 für die Ideale der Arbeiterbewegung ein. Nicht immer wird ihm das gelohnt, nicht immer hat sich „die Bewegung“ ihm gegenüber fair verhalten. Ihm, Walter Graber, Aktivist der Sozialistischen Jugend, Spanienkämpfer, PdA-Präsident, später SP-Mitglied während über dreissig Jahren… Nein, ein gebürtiger Tössemer ist Walter Graber, Wadi, wie in seine Freunde nennen, nicht. Seine Frau allerdings, die stammt aus einer Tössemer Arbeiterfamilie. Sein Vater, ein überzeugter Sozialist, verweigert 1918 den Militärdienst, um während dem Generalstreik nicht auf streikende Arbeiter schiessen zu müssen. Und nimmt seinen Sohn immer an die 1. Mai-Kundgebungen mit. «Schon als Knirps wurde ich auf den Armen am 1. Mai mitgetragen. Und war seither immer dabei», erzählt Wadi Graber heute. In Veltheim, wo die Familie Graber wohnt, gibt es im Gegensatz etwa zu Töss Ende der zwanziger Jahre noch keinen Arbeiter-Turnerbund. So gründet Wadi als 14jähriger, noch in der Sekundarschule, zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen eine SA TUS-Jugendriege. Er wird dafür vom Lehrer vor versammelter Klasse als „Roter“ beschimpft – was ihn in seiner Überzeugung aber höchstens noch bestärkt.

«Den Faschismus muss man direkt bekämpfen»

1930 beginnt Wadi Graber eine Lehre als Maschinenschlosser in der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik, der «Loki», im Tössfeld. Natürlich tritt er der Gewerkschaft, dem SMUV, bei. «Sechs Rappen Stundenlohn hatten wir als Lehrlinge, und pro Woche musste ich zehn Rappen an die Gewerkschaft bezahlen.» Wadi ist vor allem an politischen Diskussionen interessiert: Er macht bei der Sozialistischen Jugend Winterthur mit, der Jugendorganisation der SP. «Wir waren vielen Genossen zu links», meint er heute lachend. «Immer wieder waren wir es, die Druck aufgesetzt haben, und vielfach hatten wir zwar einige der Funktionäre gegen, aber viele Arbeiter hinter uns.» Für ihn steht bald der Kampf gegen den Faschismus im Vordergrund. Er gründet zusammen mit Gleichgesinnten die «Jungordnertruppe». Ihr Ziel ist es, dem Schlägertrupp der Fröntler, dem «Harst», Paroli bieten zu können. Natürlich ist auch diese Gruppe den gemässigten Sozialdemokraten ein Dorn im Auge. Dann kommt der Januar 1934. Immer mutiger werden die Fröntler, sie wollen die Arbeiter provozieren, sind sie sich doch des Rückhaltes des Rechtsbürgertums bewusst. Gezeigt hat sich dies in der Blutnacht von Genf im November 1932, als die Armee auf Arbeiter schoss, die gegen die Faschisten demonstrierten. Neun Arbeiter wurden getötet und mehrere Arbeiterführer zu Gefängnisstrafen verurteilt. In diesem Januar 1934 haben die Fröntler Töss als Ziel einer ihrer provokativen Versammlungen gewählt Die Sozialistische Jugend macht innerhalb der Arbeiterbewegung Druck, damit die Versammlung nicht einfach stillschweigend hingenommen wird, dass den Nazis die Meinung der Arbeiterschaft entgegengehalten wird. „Sicher war es auch der damalige Arbeitersekretär, Albert Bachofner, der den Fröntlern entgegentreten wollte. Aber die eigentlichen Agitatoren waren wir, und wir waren dann auch zuvorderst dabei, als die schwarz gekleideten „Braunen“ kamen“, erzählt Walter Graber. Mitte 1935 muss der 21jährige Graber nach Davos zur Kur. Er hat eine schwere Brustfellentzündung eingefangen. Er lernt die deutschen Faschisten kennen, die in Davos eine Hochburg haben. Er erlebt die Nazis hautnah – und hat Zeit, ausgiebig über die Menschen, die Politik, den Faschismus nachzudenken. Zurück in Winterthur ist die Sozialistische Jugend auseinandergefallen, gespalten worden. Weil sie sich weigerten, ihren Kontakt zur Kommunistischen Jugend abzubrechen, weil sie mit der «Linken Plattform» sympathisierten, war die Jugendgruppe für einen Teil der Sozialdemokratie schon lange ein Problem. Als dann noch unglückliche Mädchengeschichten dazu kommen, ist der Hebel gefunden, der die Jugendgruppe spaltet. Ihr Obmann Ernst Litscher wird abgesetzt – mit ihm verlässt ein grosser Teil der Gruppe die Organisation. Auch Walter Graber. 1936 bricht in Spanien der Bürgerkrieg aus. In der Wochenschau im Kino wird der Kampf der Republikaner gegen den Machtanspruch des von Hitler und Mussolini unterstützen Faschisten Franco gezeigt. …Da isch de Wadi immer total verruckt worde» ergänzt seine Frau Theres, die er bei den Roten Falken kennengelernt hat. «Ja, ich wollte mehr, als alte Schuhe sammeln für die republikanischen Kämpfer oder Wolldecken häkeln, wie das die Frauengruppen machten», meint er selbst. «Den Faschismus muss man direkt bekämpfen». Wadi Graber kündigt klammheimlich seine Stellung in der „Loki“, packt seine Sachen, und ohne jemandem, auch nicht seinen Eltern und seiner Freundin, etwas zu erzählen – «das war streng verboten» – reist er ab, Richtung Basel. Dort trifft er einen Kollegen und zusammen werden sie auf geheimnisvolle Weise über die Grenze nach Frankreich geschleust, erhalten ein Billet und eine Adresse in Paris.

Krieg in Spanien

Von dort geht’s weiter nach Spanien, ins Ausbildungslager Pozo Rubio bei Albacete. Hier trifft er auf den legendären Otto Brunner, den Anführer der Schweizer Spanienkämpfer und späteren Regierungsratskandidaten der PdA. Seinen ersten Fronteinsatz erlebt er bei der Eroberung von Quinto, in der Provinz Aragon. Kurz darauf wird er der 14. Batteria Anti AnSa, einer Fliegerabwehrbrigade zugeteilt. Eine verschworene Gemeinschaft, zusammengewürfelte 150 Männer aus 22 Nationen. «Disziplin hatten wir aber die bessere, als ich im Weltkrieg dann in der Schweizer Armee erlebte. Mit einem ganz gewichtigen Unterschied allerdings: Wir sagten den Offizieren «Du». Und die Offiziere hatten keine Privilegien.» Bei einer Umteilung geht Wadi kurzfristig «verloren». Er gilt als vermisst, gerät gar auf eine Liste von gefallenen Spanienkämpfern. Durch das Rote Kreuz lässt sich die Verbindung in die Schweiz wieder herstellen. Jetzt wissen auch seine Angehörigen, wo er steckt. Mit der Zeit gewinnen die von Hitler und Mussollini unterstützten Truppen General Francos die Oberhand. Die Republikaner, an deren Seite die Internationalen Brigaden kämpfen, werden auseinandergedrängt, Wadis Flab-Brigade Richtung Süden, so dass eine Flucht über die Pyrenäen nach Frankreich nicht mehr möglich ist. Wadi wird bei einem Luftangriff am Kopf verletzt, wird zuerst nach Valencia, dann nach Denia in ein Spital gebracht. Ein Schiff der damaligen Nichtinterventionstruppen (Schweden, Dänemark, u.a) evakuiert ihn zusammen mit anderen Verwundeten schliesslich vor dem Ansturm der Franco- Truppen und bringt ihn nach Barcelona, wo er auf Reste der Internationalen Brigaden stösst. Der Krieg aber ist verloren, die meisten der anderen Schweizer Spanienkämpfer sind schon wieder in der Heimat. Mit der letzten Gruppe trifft schliesslich auch der Winterthurer Wadi Graber an Sylvester 1938 an der Schweizer Grenze ein. „Bei Annemasse wollten uns französische und schweizerische Geheimpolizisten vom Zug abkoppeln lassen, da sie eine Demonstration in Genf verhindern wollten. Wir waren in unserem Wagen eingeschlossen, aber es gelang einem Genossen, aus dem Fenster zu klettern, und er konnte die Bähnler davon überzeugen, uns nicht abzuhängen.“ In Genf eingetroffen werden sie von einer Menschenmenge erwartet, die sie durch die Stadt begleitet. Plötzlich tritt auch der schon früher heimgekehrte Otto Brunner zu den Kollegen, die Freude, so Wadi heute, war „wirklich unbeschreiblich“.

Die Rückkehr

In Winterthur steht an diesem Sylvesterabend eine junge Frau am Bahnhof. Es ist Theres, Wadis Freundin. Sie hat im …Kämpfer», der Zeitung der Kommunisten, davon gelesen, dass die letzten Spanienkämpfer an diesem Tag heimkehren sollen, und dass sie am Nachmittag in Zürich erwartet werden. Bange steht sie da, zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester. Wird er kommen? Wadi lässt sich Zeit. Mit einiger Verspätung trifft der Zug mit den Spanienkämpfern schliesslich am späten Nachmittag in Zürich ein. Auch hier wird ihnen ein begeisterter Empfang durch Genossinnen und Genossen bereitetwährend die offiziellen Stellen wohl bereits die Gerichtsverhandlungen wegen „Schwächung der Wehrkraft“ vorzubereiten beginnen. Schliesslich zieht’s auch Wadi heim. Am späten Abend kommt er in Winterthur an – und ist überrascht über das «Empfangskomitee» auf dem Bahnhof, das dort während Stunden ausgeharrt hat. Wadi Graber kommt, wie alle Spanienkämpfer, auf eine Schwarze Liste, wird nicht mehr angestellt. Glück hat er allerdings, dass er im Gegensatz zu den meisten seiner Mitkämpfer aus der Schweiz nicht ins Gefängnis muss: Er wird vom Militärgericht nur zu einer bedingten Strafe wegen «Schwächung der Wehrkraft» und «Fremdem Militärdienst» verurteilt. Nicht nur die bürgerlichen Behörden verurteilen ihn für seinen Einsatz für die Rechte der Arbeiterschaft und seinen Kampf gegen den Faschisten Franco. Der SMUV Winterthur hat ihn ausgeschlossen, weil er nach Spanien ging. Auf seine Rekursschriften erhält er nicht einmal Antwort. Als Arbeitsloser arbeitet Wadi Graber im Arbeitslager bei der Mörsburg. Strassenbau. Bis er endlich wieder eine Stelle findet: Bei der SIG in Neuhausen. Die Kollegen dort nehmen ihn wieder in die Gewerkschaft auf – die zehn Jahre Mitgliedschaft von vorher werden ihm aber nicht angerechnet – und so sollte Walter Graber im vergangenen Jahr lediglich für «fünfzigjährige“» SMUV – Mitgliedschaft geehrt werden. Er hat dankend verzichtet.

Seinen Kampf gegen den Faschismus führt er auch nach seiner Rückkehr weiter. Nach drei Monaten kündigt er seine Stelle in der SIG wieder. „Ich konnte in dieser elenden Fröntler-Bude nicht mehr arbeiten.“ In Winterthur verteilt er Flugblätter gegen den Faschismus, gegen Hitler, Mussollini und Franco. Er wird verhaftet und vom Bezirksgericht wegen «Beleidigung fremder Staatsoberhäupter» wie schon wegen seiner Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er rekurriert, aber auch das Obergericht hält an der Verurteilung fest. Durch einen Formfehler wird die Strafe jedoch auch diesmal nur bedingt ausgesprochen. Nach dem Krieg tritt Walter Graber der neu gegründeten Partei der Arbeit, der kommunistischen Partei, bei, die er in Töss auch für eine kurze Zeit präsidiert. Nach PdA- Turbulenzen auf eidgenössischer und kantonaler Ebene treten viele Winterthurer aus der PdA aus, die kurz zuvor mit ihrem Kandidaten Otto Brunner noch beinahe einen Regierungssitz eroberte. Auch Wadi Graber, der inzwischen bei der «Rietere» in Töss eine Stelle gefunden hat. Er tritt der SP Töss bei. Dass er allerdings herzlich aufgenommen wird, wäre wohl gelogen. Er wird auch nie für ein öffentliches Amt angefragt, in der Partei wird er lediglich für einige Jahre Einzüger, kassiert die Mitgliederbeiträge. Für viele ist er noch immer der Linksabweichler, der Extremist. Vordergründig zwar entstehen kaum Probleme. Aber im «Liederkranz», dem Chor der Tössemer Arbeiter, will man ihn nicht. So geht er halt in den Gemischten Chor. In der Fabrik hat er ebenfalls keine Probleme – aber auch hier: Trotz seiner guten Qualifikationen wird er nie zum Meister befördert. Die Gewerkschaft will ihn nicht in der Betriebskommission. «Aber wenn sie etwas wissen mussten, sind sie trotzdem immer wieder zu mir gekommen und haben mich gefragt». Gut dreissig Jahre bleibt Walter Graber in der SP. Dann jedoch gibt er den Austritt. Er mag nicht mehr aktiv mitarbeiten – und eine Passivmitgliedschaft gibt es für ihn nicht. Die ewigen Streitereien in der SP, in der Arbeiterschaft, gehen ihm auf die Nerven. Auch ihm ist die SP meistens zuwenig kämpferisch – aber die parteiinternen «Abschusspraktiken» durch junge Intellektuelle passen ihm genausowenig. Und in die innere Emigration – nein, das ist kein Weg für W alter Graber, den Kämpfer.