Der Bestseller-Autor aus Töss

Jakob Christoph Heer war um 1900 einer der bekanntesten Autoren im deutschsprachigen Raum. Nicht nur seine Romane aus Töss sind ein Grund, ihn neu zu entdecken. J. C. Heer wurde 1859 im Chrugeler geboren. Er starb, völlig verarmt, am 20. August 1925 in Küsnacht.

J.C. Heer 1891

Serien auf Netflix, im TV: sie sind eines der meistgenutzen Unterhaltungsformate aktuell. Solche «Serien» gab es aber auch vor über 100 Jahren: es waren die Fortsetzungsromane in den Zeitungen. Es war 1898 ein solcher Fortsetzungsroman in der «Neuen Zürcher Zeitung», der den aus Töss stammenden Schriftsteller Jakob Christoph Heer berühmt und zu einem der meistgelesenen Autoren um 1900 in Europa machte: «An heiligen Wassern» spielt im Wallis und schildert den Kampf um das Wasser, das in hölzernen Leitungen entlang der Felsen und Kanälen von den Gletschern bis zu den Feldern geführt wurde. Im Roman prallen Tradition und Moderne aufeinander, Heimatverbundenheit und Gewinnsucht, eine verbotene Liebe, Emotionen, Rachsucht. Kurz: alles Ingredienzien, die auch heute noch die Serien prägen.

Das Geburtshaus von J.C. Heer an der heutigen J. C. Heerstrasse. Die Strasse wurde 1928 im Gedenken
an den Schriftsteller von «Kanalstrasse» in «J. C. Heerstrasse» umbenannt.

Mit einem weiteren Roman, «König der Bernina», wurde Heer ungewollt zu einem der bekanntesten Tourismusföderern des Oberengadins. Heute wäre er ein «Influencer»… So errichtete die Gemeinde Pontresina ihm ein Denkmal, und seine letzte Ruhestätte auf dem Brühlberg ziert ebenfalls ein riesiger Gedenkstein aus dem Roseg-Tal, der 1928 dort gesetzt wurde.

Geboren im Rebbaudorf an der Schwelle zur Industrialisierung

Als J.C. Herr am 17. Juli 1859 geboren wurde, stand Töss auf der Schwelle zwischen dem traditionellen Rebbaudorf und der unaufhaltsamen Industrialisierung durch die Maschinenfabrik Rieter und Sulzer im Tössfeld. Nach der Grundschule besuchte er das Gymnasium in Winterthur. Danach wechselte Heer ans Seminar Küsnacht und schloss 1879 mit dem Lehrerdiplom seine Ausbildung ab. Ein prägendes Ereignis seiner Jugend war die Überschwemmung der Töss von 1876. 1882 trat er eine Stelle an der Primarschule Oberdürnten (ZH) an. Sein literarisches Debüt «Ferien an der Adria» (1888) verhalf ihm zur Position des Feuilleton-Redaktors bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Dort trat Heer ab 1892 die Nachfolge Carl Spittelers an. Bis zum 1. Weltkrieg erzielten seine Bücher für damalige Zeiten riesige Auflagen. Sie wurden in Englisch, Italienisch, Franzöisch und Spanisch übersetzt. Tausende pilgerten auf den Spuren seiner Bücher ins Wallis und ins Engadin. J. C. Heer verkehrte in den «besten Kreisen». Einer seiner Freunde war der damals bekannte Ballonfahrer Eduard Spelterini, mit dem er verschiedene Fahrten unternahm.

Die Überschwemmung von 1876 war ein prägendes Element in J. C. Heers Leben.

Dann kam der 1. Weltkrieg. J. C. Heer, der bei einem deutschen Verlag publizierte und den grössten Teil seines Vermögens in Deutschland hatte, verlor dieses Vermögen praktisch vollständig. 1922 musste er sogar das eigene Haus in Rüschlikon aufgeben und zu seiner Tochter nach Deutschland ziehen. Am 20. August 1925 starb er verbittert und verarmt in Zürich. Er wurde zuerst im Nägelsee beigesetzt. Als dort der Schlachthof geplant wurde, fand J. C. Heer 1928 seine letzte Ruhestätte auf dem Brühlberg mit Blick auf die Alpen. Seine beiden bekanntesten Romane, «An heiligen Wassern» und «König der Bernina» wurden später verfilmt, «König der Benina» sogar mehrfach.

Heimatromane neu entdecken

J. C. Heer schrieb nicht nur über die Alpen, sondern auch sein Heimatdorf war immer wieder Schauplatz seiner Romane – offener manchmal, manchmal auch etwas umschrieben. In «Joggeli»(erschienen 1902) schildert er seine Jugend und das Dorf Töss in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, weitere Erzählungen sind im Band «Aus dem Dorfe Töss» zu finden. Weniger bekannt hingegen ist sein Roman «Felix Notvest» von 1901, in welchem er das Aufeinanderprallen von Tradition, Natur und Industrialisierung thematisiert. Überliest man die für heutige Leser:innen etwas kitschig anmutende Heimattümmelei, so zeigt sich Heer als ausgezeichneter Beobachter von gesellschaftlichen Prozessen. Immer wieder ist die Versöhnung von Natur und Althergebrachtem mit Technik und aufgeschlossenem Zeitgeist bei Heer ein Thema, so auch in seinem letzten Roman, «Tobias Heider».

1928 fand J. C Heer auf dem Brühlberg seine Ruhestätte. Der darauf platzierte Gedenkstein kam aus
dem Roseg-Tal bei Pontresina.

Material aus:

Matthias Erzinger