Armin Tahiri arbeitet an der Kikinda-Maschine, «Made in Yugoslavia».

Zu Besuch im Zylinderschleifwerk Winterthur (ZSW)

Wo es auf zwei hundertstel Millimeter ankommt

Früher schliff man an der Poststrasse Zylinder von Automotoren, heute bearbeiten dort zwölf Männer zentner- bis tonnenschwere Teile von Druck-, Walz- und anderen Industriemaschinen. Burckhardt-Compression in Neuhegi gehört zu den guten Kunden, doch mehr als die Hälfte aller Aufträge kommen aus dem EU-Raum. Ein Blick in die Fabrik.

Von Martin Gmür (Text und Bild)

Ein Zylinderschleifwerk mitten in einem Wohnquartier? Stört das nicht? Dieses Fräsen und Kratzen und Pfeifen in schmerzenden Höhen, wenn der rotierende Schleifstein auf den harten Stahl trifft? Nein, fast gar nichts ist von draussen zu hören, wenn die hohen Tore geschlossen sind. Und auch drinnen im Gebäude an der Post- und der Zelglistrasse ist es mehr ein Surren und Plätschern – jedenfalls nichts durchdringend Lautes, wofür die Suva Gehörschutz verlangen würde. Das Plätschern übrigens ist das Wasser, das den Schleifstein und das Werkstück kühlt. Alle Maschinen sind an den Wasserkreislauf angeschlossen, im Keller liegt der Tank mit 15’000 Liter Inhalt. Wir sind im Zylinderschleifwerk Winterthur (kurz ZSW), einer kleinen Tössemer Firma, die es seit gut 70 Jahren an ebendiesem Standort gibt.

Den Grundstein des ZSW legte Alfred Wertli im Jahr 1950. Er lebte mit seiner Familie damals in Baden AG. Dass für die neue Firma der Standort Winterthur gewählt wurde, ist dem Zufall zu verdanken: In Töss fanden Wertli und sein damaliger Geschäftspartner eine geeignete Lokalität – eben an der Poststrasse 15. Bis heute ist der Firmensitz dort im Gebäude geblieben, wo auch eine weitere Firma, die Alfred Wertli AG noch immer zu Hause ist. Sie ist die Mutterfirma des ZSW.

Zylinderschleifen war ein Muss

Um die Jahre 1950 bis 1970 konnten sich immer mehr Leute ein Auto leisten, und die vielen Automotoren- ebenso die Lastwagen- und Armeemotoren – benötigten in jenen Jahren viel öfter einen Service als heute: Die Motoren mussten die ersten 3000 Kilometer «eingefahren» werden – das heisst: Keine Volllast, keine hohen Drehzahlen, aber auch das Gegenteil war Gift für den Motor: «Vermeiden Sie ein Quälen des Motors in der niederen Drehzahl», hiess es im Handbuch. Motoren waren anfällig auch bei sorgfältiger Fahrweise und brauchten öfter einen Service. Das brachte viel und regelmässig Arbeit ins Zylinderschleifwerk Winterthur: «Bis zum Ölknick im Jahre 1972 florierte die Motorenabteilung bestens», heisst es in der Firmenchronik. In Töss arbeiteten in jenen guten Jahren 15 bis 18 Personen an den Motoren und Maschinen. Dann sank die Nachfrage, doch der letzte ZSW-Fachmann für Motoren, blieb noch bis zur Pensionierung im Jahr 2000 in der Firma, dann war definitiv fertig mit Zylinderschleifen, es gab an der Poststrasse keine Motorenreparaturen mehr.

Längst war dort der Wandel vollzogen: Ab 1972 wurde das Zylinderschleifwerk Winterthur zu einem industriellen Schleifunternehmen umgebaut: andere Kunden, andere Werkstücke, die bearbeitet sein wollten. Eines aber blieb: Die zu bearbeitenden Teile waren rund und in der Form zylindrisch, der Name Zylinderschleifwerk passt bis heute.

Er sprüht vor Begeisterung

Der heutige Geschäftsführer führt uns durch die Hallen; Santiago Alonso heisst er, sein Vater war ein spanischer Einwanderer, er selbst ist gelernter Galvaniseur und wurde wegen eben diesen Spezialkenntnissen Ende 2021 ins Unternehmen geholt.

Geschäftsführer Santioago Alonso

«Ein super Job, ein super Team, ich kann mir nichts Besseres wünschen», sagt Alonso und sprüht vor Begeisterung. Er ist nicht nur stolz auf seine Mitarbeiter (das Maskulinum stimmt hier zu 95 Prozent), sondern weiss auch zu den zehn Schleif- und Poliermaschinen Einiges zu erzählen: Hier eine deutsche Naxos-Union-Maschine, die seit 60 Jahren ihren Dienst versieht, dort eine Kikinda aus Yugoslavia – so ist sie angeschrieben. Nur zwei der zehn Maschinen sind computergesteuert, die meisten werden von den zwölf Mitarbeitern von Hand bedient. Und das braucht viel Fingerspitzengefühl, denn die zu bearbeitenden rotierenden Teile werden in kleinsten Schrittchen von wenigen Hundertsteln Millimeter auf ihr Mass geschliffen oder poliert.

Nach dem Galvanisieren das Schleifen

An der Kikinda-Maschine steht Armin Tahiri; das Teil, das er bei unserem Besuch bearbeitet, ist ein Zylinder aus einer Druckmaschine. Bei einem Galvaniseur bekam das rund 200 Kilo schwere Teil eine neue, rund einen Millimeter dicke Chrom-Oberfläche. Tahiri und seine Kikinda schleifen und polieren es nun auf den korrekten Durchmesser, damit wieder scharf und präzis geschnitten werden kann.

Rund 50 Kunden habe seine Firma, sagt Geschäftsführer Alonso, und er sei stolz auf jeden einzelnen, denn da sind bekannte Namen dabei: Burckhardt Compression etwa, Sia oder auch Novelis – gemäss eigenen Angaben ist das «der weltweit führende Anbieter von Aluminiumfolien». Wer sein Sandwich zum Zmittag einwickelt, hat mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Folie verwendet, die mittels einer Walze produziert wurde, die jeweils in Töss gewartet wird. Alle zwei Jahre geht Alonso an eine Spezialmesse in München, um zu zeigen, was seine Firma alles kann: «Das reicht, um den Kundenstamm stabil zu halten.» Ein Selbstläufer ist die Firma indes nicht, die Konkurrenz gerade in der Ostschweiz sei gross, sagt Alonso. «Umso wichtiger ist es, jeden Kunden persönlich zu kennen.»

Aus allen Herren Ländern

Die eigene Belegschaft, die zwölf Männer in der Halle und die fünfzig-Prozent-Bürofrau, bleibt der Firma im Normalfall über Jahre und Jahrzehnte treu. «Wenn ein Neuer nicht passt, merkt er das meist selber schnell. » Viele der Männer sind Zugewanderte, aus Serbien, Italien und den Philippinen oder sonst woher; manche bringen einen Lehrabschluss mit etwa als Polymechaniker, andere kommen aus ganz anderen Arbeitsgebieten und werden angelernt. Der Umsatz, den sie erwirtschaften, betrug in den letzten zwanzig Jahren jeweils rund zwei bis drei Millionen Franken. So vielfältig die Nationalitäten der Mitarbeitenden sind, so weit erstreckt sich auch die Kundschaft: «60 bis 70 Prozent der Aufträge haben wir aus dem erweiterten EU-Raum, hauptsächlich Deutschland, Italien, Türkei und auch Österreich», sagt Alonso. Und noch eine letzte Zahl zum Schluss: Jedes Jahr kommen rund 2000 Walzen oder Druckzylinder zum Teil von weit her nach Töss, um hier wieder fein und fit geschliffen zu werden. Die Schleifscheiben übrigens, die dies ermöglichen, sind die meisten einheimische, ja sogar lokale Produkte – sie kommen von der Schmirgelwarenfabrik Ziegler AG in der Grüze.