Judith Biegel wird nach 25 Jahren Flötenunterricht in Töss pensioniert

Mit dem öffentlichen Abschlusskonzert ihrer Schülerinnen und Schüler am Samstag, 26. Mai, verabschiedet sich Judith Biegel von ihrer Tätigkeit als Flötenlehrerin in Töss. 25 Jahre hat sie Kindern das Blasinstrument nähergebracht. Weiterführen wird sie das Märchenerzählen.

Seit ein paar Jahren wird der Flötenunterricht in Winterthur nicht mehr von der Stadt unterstützt und muss, wie jeder andere Instrumentenunterricht, privat berappt werden. Seither kommen kaum mehr Kinder aus wenig begüterten und musikalisch bildungsfernen Familien in den Unterricht, bedauert Judith Biegel. Dabei sei das Flötenspiel gerade für Kinder aus Familien, die wenig Geld und wenig Bezug zum Musizieren hätten, eine Chance für eine instrumentale Grundausbildung gewesen. Es gebe sehr kostengünstige und qualitativ gar nicht schlechte Kunststoffflöten (bereits ab 24 Franken erhältlich) und mit ein wenig Üben sei das Instrument relativ einfach zu erlernen. Für Judith Biegel ist die Flöte das beste aller Instrumente: «Man kann es in der Tasche oder im Rucksack überall hin mitnehmen und es wird auf der ganzen Welt gespielt.»

Lebhafter, dafür weniger beweglich in den Fingern

Wie vielen Kindern sie das Flötenspiel nähergebracht hat, weiss sie nicht. In den besten Zeiten hätte sie bis zu 15 Klassen mit je 8 bis 10 Kindern unterrichtet. In ihrem letzten Semester in Töss sind es noch insgesamt 22 Kinder, die am Abschlusskonzert gemeinsam auftreten werden. Was hat sich in all den Jahren ihrer Unterrichtstätigkeit verändert? «Die Disziplin», sagt Judith Biegel nach einigem Nachdenken. Der Respekt einer Lehrperson gegenüber sei nicht mehr derselbe, wie noch vor zwanzig Jahren und die Kinder seien heute lebhafter, aber auch unruhiger. Die Aufmerksamkeit leide darunter. Judith Biegel hat schon früh Bewegungs- und Rhythmusübungen in den Flötenunterricht eingebaut, um den Kindern ein ganzheitliches Gefühl für die Musik zu vermitteln. Das kam vor allem den Kindern, die Mühe mit Stillsitzen hatten, sehr entgegen. Weiter stellt Biegel fest: Früher hätten die Kinder zu Hause mehr geübt und nach zwei Jahren mehr gekonnt, als heutige Schüler. Sie führt das auf das immer grössere Freizeitangebot zurück, das heutigen Kindern offensteht. Und die Fingerbeweglichkeit sei früher eindeutig besser gewesen. Heutige Schüler hätten viel steifere Finger. Wieso dem so ist, kann sie sich nicht erklären.

Wird sie das Unterrichten nicht vermissen? «Da ich noch drei Lektionen pro Woche in Dättlikon ein Jahr weiterführen werde, ist es ein langsamer Abbau und das ist gut so.» Nicht vermissen werde sie die jeweils ersten drei Monate einer Anfängerklasse, sagt sie schmunzelnd. Aber wenn die Klasse dann mal ein Repertoire beherrschte und immer anspruchsvollere Stücke spielen konnte, sei das schon sehr erfüllend gewesen, schwärmt sie.

Ein Drache hat immer Platz

Im Quartier wird man Judith Biegel nach ihrer Pensionierung nicht mehr viel begegnen. Vor zehn Jahren ist sie mit ihrem Mann von Töss nach Seen gezogen. Aufgewachsen ist sie an der Ebnetstrasse. Ihr Vater hatte eine Küferei direkt neben dem heutigen Chäs Scherrer. Nach einem kurzen Abstecher weg aus Töss ist die gelernte Kleinkindererzieherin mit ihrem Mann später wieder nach Töss ins Elternhaus gezogen. Nachdem sie Mutter von drei Kindern geworden war, hat sie die Ausbildungen zur Spielgruppenleiterin und später zur Blockflötenlehrerin absolviert. In der klassisch strengen Familienzeit, in der die Kinder viel Aufmerksamkeit forderten und die Pflege der Eltern im selben Haus kräfteraubend war, suchte sie «etwas für sich». Ihre Kinder hatten voller Begeisterung gerade einen Märchenkurs bei Elisa Hilty im Obertor besucht und Judith Biegel war ebenfalls Feuer und Flamme. Sie liess sich zur Märchenerzählerin ausbilden. Eigentlich wollte sie das nur für sich machen, doch es ergab sich bald darauf die Möglichkeit, Märchenerzählen und Rollenspiele öffentlich für Kinder anzubieten. Das Erfolgsrezept ihrer Märlinachmittage ist, dass die Kinder nach der vorgetragenen Geschichte diese selber auf ihre Art nachspielen dürfen. Dabei können sie ganz frei wählen, was für eine Figur sie sein wollen. Die Figur muss nicht mal in der Geschichte vorkommen. Ein Junge habe immer einen Drachen spielen wollen und es gab immer mehrere Anwärterinnen auf das Prinzessinnenamt. «Kein Problem, wir erweitern die Geschichte einfach um diese Figuren», lautet Biegels Credo. Die Fantasie und Kreativität der Kinder soll angeregt werden.

Märchen auch für Erwachsene

Zu den Märchennachmittagen kamen später Märchen auf dem Bauernhof, Märchenwochenden und Erzählabende für Erwachsene hinzu. Ganze Wochenenden für Kinder in einer Pfadfinderhütte wird sie nach dem letzten Anlass am 12./13. Mai nicht mehr anbieten. «Das ist mir doch langsam zu anstrengend.» Aber die Nachmittage im Kirchgemeindehaus Töss und die Angebote für Erwachsene wird sie mit Freude weiterführen. Im Anhaltspunkt in Neuhegi findet etwa hin und wieder eine «Chästeilet und Märli» für Erwachsene statt und das Gottlieber Café im Neuwiesenquartier lädt auch weiterhin zu kulinarischen Märchenabenden ein, an denen Judith Biegel zwischen einzelnen Menügängen Märchen zu einem bestimmten Thema erzählt (zum Beispiel Freundschaft, Liebe oder Essen), begleitet durch eine ihrer beiden Töchter auf der Gitarre. Judith Biegel liebt das Märchenerzählen. «So lange ich sprechen kann, werde ich Märchen erzählen», sagt sie voller Überzeugung.