Die Schweiz. Textilfachschule bewahrt Tradition auf dem Vitus-Areal

Das «Textiltechnikum» residiert neu in Töss

Im Vitus-Areal ist die Schweizerische Textilfachschule (STF) eingezogen. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Schweizerischen Technischen Fachschule (STFW). Mit der Anwesenheit der Schule wird die historische Textiltradition am Standort Winterthur weitergeführt und dem Nachwuchs vermittelt.

Die Ursprünge der Schweizerischen Textilfachschule reichen bis ins Jahr 1881 zurück. Damals entstanden auf Initiative lokaler Textilfabrikanten in Wattwil und Zürich zwei Webschulen. Die Textilbranche zählte zwischen 1840 und 1900 zu den wichtigsten Industriezweigen im Kanton Zürich. Entsprechend gross war der Bedarf an qualifiziertem Personal. Die Fabrikanten griffen zum Mittel der Selbsthilfe und finanzierten die Ausbildung selbst.

Während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren brach die Textilindustrie ein, was auch die Zukunft der beiden Schulen gefährdete. Bereits 1939 entstanden erste Fusionspläne. Diese scheiterten jedoch am Zweiten Weltkrieg und am Widerstand verschiedener Interessensgruppen – insbesondere aus St. Gallen, wo man die Konkurrenz fürchtete.

Der Standort Zürich setzte in der Folge auf Diversifizierung und bot neue Ausbildungslehrgänge an: für Webermeister, Webereitechniker, Textilfachleute, Disponenten und Textilentwerfer.

Zusammenschluss zum Textiltechnikum

Im Jahr 1972 fusionierten die beiden Schulen zur Schweizerischen Textilfachschule, die ab dem 1. Januar 1973 ihren Betrieb aufnahm. Die Höhere Fachschule konnte sich nun als eigentliches «Textiltechnikum» positionieren. Trägerschaft wurde die neugebildete Genossenschaft Schweizerische Textilfachschule, die Standorte in Wattwil, Zürich und St. Gallen betrieb.

Zweck der Schule war von Anfang an die Ausbildung von Nachwuchskadern für die Textilbranche – in den technischen, kaufmännischen und kreativen Bereichen. Finanziert wurde die Schule neben Bund, Kantonen und Gemeinden zu rund einem Drittel von Verbänden aus der Textil- und Bekleidungsindustrie, der chemischen Industrie, dem Textilhandel sowie der Textilmaschinenindustrie. Hinzu kamen regelmässige Sachspenden, etwa neuste Apparate oder Dienstleistungen.

Der Ausbildungsschwerpunkt bestimmte den Standort: In Wattwil befand sich die technische Abteilung mit Ausbildungsgängen für alle Sparten der Textilindustrie – von der Spinnerei über die Strickerei bis zur Textilveredlung und Bekleidungsherstellung. In Zürich studierten angehende Textilkaufleute und -designer:innen, in St. Gallen besuchten KV-Lehrlinge und Laborpersonal einführende Kurse.

Die Schule stand in den 1970er-Jahren auch symbolisch für die neue Strategie des Zusammenrückens in der Schweizer Textilbranche. Die wirtschaftliche Lage war angespannt, die Textilindustrie global in der Krise. Während die einzelnen Firmen zuvor auf sich allein gestellt waren, beschloss man nun, zusammenzuspannen. Ziel war es, durch eine solide Ausbildung die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Ausland zu stärken. 1984 wurde die STF vom Bund anerkannt, 1989 integrierte sie die Schweizerische Modefachschule.

Dessinatricen an der Arbeit (Bild: Archiv STF)

Nadeln und andere Herausforderungen

In den 1990er-Jahren geriet der Standort Zürich in Bedrängnis – und zwar buchstäblich wegen Nadeln: Die Schule befand sich an der Wasserwerkstrasse, in unmittelbarer Nähe des Letten-Areals, wo sich die offene Drogenszene etablierte. Um den Zutritt von «Unbefugten» zu verhindern, liess die Schule das Gelände mit Gittern und Stacheldraht sichern. Die Menschen hielt das fern, nicht aber den Müll, der sich in der Folge um das Areal sammelte. Unrat, Spritzen, Papiere und Kleidungsstücke landeten regelmässig auf dem Schulgelände. Mitarbeitende mussten das Trottoir immer wieder von Kot, Urin und Blut reinigen.

Neben den gesellschaftlichen Herausforderungen trieben die Schule auch die wechselnden Bedürfnisse der Industrie um. Statt wie bisher ein zweijähriges Vollzeitstudium anzubieten, stellte sie 2003 auf ein berufsbegleitendes System um – so konnten die Firmen ihre künftigen Kaderleute weiterhin beschäftigen.

Inspiration für das Musical «Jump»

Einen ersten Kontakt mit Winterthur bekam die Schule 2005 über ihren damaligen Direktor Helmut Hälker. Die STF beschäftigte sich schon länger im Rahmen des Projekts «Perspektiven schaffen» mit dem schwierigen Start in den Arbeitsmarkt direkt nach der Ausbildung. Daraus entstand schliesslich die Idee, ein Musical zu produzieren. In Kooperation mit der Zürcher Tanz-Theater-Schule entstand so Jump, das noch im selben Jahr in der City-Halle in Winterthur seine Weltpremiere feierte. Spezialistinnen und Spezialisten aus der Modebranche entwickelten dafür Kostüm- und Bühnendesign, und auch die Studierenden aller Fachklassen wirkten mit.

Umzug nach Winterthur

Im Jahr 2023 wurde publik, dass die STF ihre Standorte in Zürich und Wattwil aufgibt und nach Winterthur zieht. Dank der Anwesenheit der Schule und der direkten Nachbarschaft zum Forschungscampus von Rieter soll im Vitus-Areal ein «innovativer Textil-Cluster» entstehen. Mit rund 300 Studierenden und 60 Lehrlingen verwandelt die STF das ehemalige Fabrikareal in einen lebendigen Ausbildungscampus und führt damit die textile Tradition Winterthurs in die Zukunft. Wir heissen die Schule und ihre Studierenden herzlich willkommen in Töss und sind schon gespannt auf die vielfältigen Kreationen und Impulse.

Nadia Pettannice      n