Herrin der Bücher und Heimweh-Tössemerin
Zwischen Erinnerungen an das industrielle Töss und Bücherregalen in der Winterthurer Altstadt lebt Rahel-Medea Lang ihre Leidenschaft. Vom Arbeiterkind, das im Woll- Laden träumte, zum Herzstück ihres eigenen «Buchparadieses» – ihre Geschichte ist geprägt von Rückschlägen, Wandel und der Liebe zur deutschen Literatur und Sprache.
«Oh, das Töss in meiner Kindheit, ich habe es ge- liebt!». So klingt Rahel-Medea Lang, wenn sie von früher redet. Sie – heute Besitzerin und Geschäfts- führerin des «Buchparadies» an der Obergasse 5 in der Winterthurer Altstadt – im Untergeschoss des Comic-Ladens «Zappa Doing». Beim Thema Bücher gerät Rahel noch mehr ins Schwärmen als wenn sie über ihre alte Heimat spricht. Um beides wird es in diesem Porträt hier vermehrt gehen. Aber alles schön der Reihe nach.
Rahel-Medea Lang, geboren 1981, ist in Töss aufgewachsen und sie liebt als Kind Bücher ebenso wie das Herumstreunen und spielen im Quartier. Wer schon mal «Joggeli» von J.C. Heer gelesen hat, mag vielleicht Parallelen darin heraushören, wie Rahel ihr «altes Töss» fast schon glorifizierend beschreibt. Sie erwähnt die Papeterie im Zentrum Töss, den Schuh- laden Botty oder den Woll-Laden gleich neben dem Zentrum, an der Ecke Emil-Klöti-Strasse/Zürcherst- rasse. Schon früh träumte Rahel davon, genau in die- sem Gebäude ihren eigenen Buchladen einzurichten. Als Kind ging sie nämlich öfters dorthin, um für ihre Mutter Wolle zu kaufen. Ihre Familie wohnt als Haus- abwarte im ehemaligen Logier-Haus der Firma Rieter. «Ich war ein Rieter-Kind, das hat mir irgendwie etwas bedeutet.» Als das Logierhaus mit den Jahren immer leerer wird, müssen die wenigen verbliebenen Bewohner und auch Rahels Eltern ausziehen. Es entstehen Eigentumswohnungen. Redet sie über ihre Jugend, erzählt sie sehr viele Geschichten über die Töss und den Stadtteil, der sich aus ihrer Sicht, da sie schon lang nicht mehr da wohnt, sehr stark verändert hat. Und doch kehrt sie noch immer regelmässig zurück: Fürs Stimmenzählen bei Abstimmungen im Kirchengemeindehaus an der Stationsstrasse.

Heimweh-Tössemerin Rahel-Medea Lang in ihrem Buchparadies.
Gedruckte Leidenschaft
Rahel hat sich bereits früh für Gedrucktes und für Literatur interessiert. Die Bibliothek auf dem Dach des Zentrum Töss ist in ihr Gedächtnis gebrannt. Sie macht eine Lehre als Offset-Monteurin bei der Druckerei Winterthur. Damals werden dort Betti-BossyKochbücher, Kuoni-Kataloge oder auch das Magazin «Beobachter» gedruckt. Doch weil Gedrucktes immer weniger nachgefragt wird, muss die Druckerei schliessen und Rahel, die nach der Lehre dort weitergearbeitet hat, verliert ihren Job, der nun in den Druckereien von Maschinen übernommen wird. Rahel liest bereits bevor sie in die Schule kommt und verliebt sich in die deutsche Sprache. Als junge Erwachsene beginnt sie sich für den Simplicissimus von Grimmelshausen zu begeistern. Deshalb hat sie – noch als Monteurin arbeitend – ein Deutsch-Diplom gemacht bei der Zürcher Handelskammer. Genau deswegen bietet sich nun die Chance, bei der Valora in einem Buchladen anzufangen: «Es war mein erster Job im Buchhandel». Doch nach einer gewissen Zeit und nach reichlich Erfahrung auch als Geschäftsführerin im Buchladen, mag Rahel die Bedingungen beim Grosskonzern nicht mehr weiter unterstützen und gründet mit dem «Buchparadies» an der inneren Tösstalstrasse ihr eigenes berufliches Glück.
Herrin der Bücher
Rahel ist da erst 26. Das Arbeiterkind aus Töss hat nun seinen eigenen Buchladen mit Second-HandBüchern. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Zwischenzeitlich betreibt Rahel sogar zwei Buchläden, die sich gegenüber liegen. Dann kommt das Mega-Projekt. Ein Laden bleibt an der inneren Tösstalstrasse, der grosse Rest an Büchern wird auf einer riesigen unterirdischen Ladenfläche beim Durchgang zwischen Obergasse und Graben angeboten. Doch leider zieht dieser grosse Laden zu wenig Kunden an und die geliebten Bücher müssen reduziert werden. Wieder zurück im kleinen Laden stellt die Corona-Pandemie alles auf den Kopf. Das Geschäft läuft nicht mehr. Auch als die Lokale wieder öffnen dürfen, kommen die Kund:innen «nur» noch in den Laden um nach konkreten Büchern zu fragen. Wenn Rahel eines bestellen darf, ist das Lokal, Bestell- und Abholort – mehr aber leider kaum noch. Kunden, die stöbern und nach Lust und Laune etwas einkaufen, sind rar geworden. Bereits zuvor eintretende, gesundheitliche Beschwerden machen das Unterfangen Buchladen noch schwieriger. Eine neue Idee, ein neuer Standort muss her.
Neuer Ort – neues Glück?
Leben tut Rahel schon lange nicht mehr in Töss. Beruflich in der Altstadt, wohnhaft im Mattenbach-Quartier, steht sie heute hier an der Obergasse in ihrem Buchparadies und scheint zufrieden zu sein. Mit dem Comic-Laden Zappa Doing hat sie tolle Nachbar:innen und hofft, dass wieder mehr ihrer Kund:innen den Weg hierher finden. Eben gerade noch haben wir über Töss, das Zentrum, den Wolle-Laden und die Rieter geredet, sind wir nun mitten in Bücheregalen, in Rahels Schatzkammer. Hier gibt es neben Romanen, alle Arten von Sachbüchern, auch viel Rares, Erst- oder Sonderausgaben. Auch online, auf der Webseite des «Buchparadies» finden Interessierte vieles und mit Liebe und System katalogisiert. Nebenan, bei der Leseecke in ihrem Büro, steht ihr eigenes Buch. 2018 hat sie «Mein Paradies der Bücher» veröffentlicht und ein zweites Buch: «Rückkehr ins (Buch)Paradies» soll im Winter 2025 erscheinen.
Simon Berginz