Engagiert in Quartier, Partei, Wohnbau-Genossenschaft und, und, und…
Im Gedenken an Henry Müller
16.6.1935 – 12.5.2025
Er war eine Institution in Töss: «Hangeri» Müller, Redaktor der ersten Quartierzeitung in Winterthur und lange Jahre Präsident der SP Töss. Gewirkt hat er aber weit über den Stadtteil hinaus, u.a. als Präsident von Coop Winterthur, der Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft GWG oder der «Speisegesellschaft». Am 12. Mai 2025 ist er knapp 90jährig gestorben.
Sein Grossvater war Giesser bei der «Sulzer» und am grossen «Giesserstreik» 1911 beteiligt, seine Grossmutter putzte die Villa der Fabrikherren und wurde wegen der gewerkschaftlichen Aktivitäten ihres Mannes entlassen. Sein Vater war Monteur und später nebenamtlicher Liegenschaftenverwalter der Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft GWG. Beim Essen wurde politisiert. «Irgendwann fragte ich dann meinen Vater: Kann man diesem Verein auch beitreten» – gemeint war die SP Töss. Das war 1965. Im vergangenen März wurde Henry für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt.
«Nein, kommt nicht in Frage: bei mir gibt es weder ‘Hurenkinder’ (eine einzelne Zeile bei einem neuen Seitenbeginn) noch ‘Schusterjungen’ (einzelne Zeile am Ende einer Spalte): Wenn es um das Layout der Quartierzeitung «De Tössemer» ging, galten höchste Ansprüche. Auch die Anzeigen wurden sorgfältig platziert. Als gelernter Schriftsetzer holte ihn sein ehemaliger Lehrer und damaliger SP-Stadtrat Franz Schiegg 1967 in die Redaktion der 1958 gegründeten Quartierzeitung. Mit Leib und Seele – und der Unterstützung seiner Frau Margrit – produzierte Henry Müller die Maquetten für die Druckerei, schrieb Beiträge und baute den «Tössemer» schrittweise aus. Frau und Familie mussten meist hintenanstehen. 31 Jahre lang zeichnete er für die Zeitung verantwortlich. «Die Bürgerlichen haben mehrfach versucht, uns zu konkurrenzieren» erzählt er gerne. «Gelungen ist es nie.» Nicht zuletzt, weil Henry Müller die von der SP herausgegebene Zeitung nie als «Parteiblatt» positionierte, sondern auch Beiträge von bürgerlichen Politiker:innen publizierte, dem Gewerbe und allen Vereinen Platz einräumte. Um aber frei zu bleiben, verzichtete Henry Müller immer auf Subventionen, der Stadt Winterthur, welche die anderen Quartierzeitungen erhalten. Und so ist die älteste Quartierzeitung Winterthurs auch heute noch im Besitz der SP Töss. Bis vor kurzem steuerte Henry immer wieder Beiträge bei. In den letzten Jahren galt seine Liebe vor allem historischen Beiträgen. Sein letzter Beitrag erschien 2021 zu den verschiedenen Überschwemmungen der Töss.
Bei seinem Engagement für den «Tössemer» half ihm auch seine berufliche Tätigkeit: Bis zu seiner Pensionierung 1995 war er 25 Jahre für die Anzeigen und die Administration des «Tagi-Magi» verantwortlich. «Sie nannten mich nur den ‘Magaziner’, ich war quasi ein Einmann-Betrieb im grossen Tages-Anzeiger.»
Bereits 1970 wurde Henry Müller zum Präsidenten der SP Töss gewählt. Mitten in die Auseinandersetzung zwischen der «Neuen Linken» und den traditionellen Arbeiter:innen-Organisationen. «Da kam es auf beiden Seiten zu persönlichen Angriffen, die nicht leicht zu ertragen waren.» Töss galt als eher traditionell-gewerkschaftlich ausgerichtet, und Henry wurde deswegen im städtischen und kantonalen Parteivorstand teilweise angefeindet. Aber er schaffte den Spagat. Er war unideologisch und blieb dank seiner konzilianten Art auf beiden Seiten geschätzt. In den achtziger Jahren beruhigte sich die Situation. Nach seinem Rücktritt hielt er der Partei die Treue, besuchte zusammen mit seiner Frau fast ausnahmslos jeden Anlass. Keine Distanzierung, sondern aktive Unterstützung. Noch 2024, 89jährig, nahm er zusammen mit Margrit an der Generalversammlung der SP Töss teil.
Als Vertreter der SP Töss wurde er 1976 in den Verwaltungsrat von Coop Winterthur gewählt, den er von 1987 bis 2000 auch präsidierte. In seine Amtszeit fällt die Auflösung der lokalen Genossenschaft zugunsten von grossen regionalen Genossenschaften. Henry verficht stark die Haltung, dass sich die «Arbeiterbewegung» modernisieren müsse. Bei der «Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft GWG» treibt er darum als deren Präsident von 1984 bis 2007 ebenfalls die Professionalisierung voran. 1995 liess er sich bei Tamedia frühzeitig pensionieren und übernahm bei der GWG die Vermietungen, stellte den ersten Geschäftsführer ein. «Ohne diese Professionalisierung wäre das Wachstum der GWG nicht möglich gewesen.» Nicht zuletzt, so sein Credo, verhindere Professionalisierung auch Willkür und Eigennutz. Er machte sich damit nicht nur Freunde in der Genossenschaftsbewegung… Sein letztes Grossprojekt war die neue Siedlung an der Vogelsangstrasse als Ersatz für die ersten Häuser der GWG aus den 30er Jahren. Zwar mussten er und seine Frau deswegen aus der Wohnung ausziehen, in welcher sie seit der Heirat 1964 gelebt hatten. «Übergeordnetes Interesse» galt nicht nur für die anderen…
In den letzten Monaten wurden die gesundheitlichen Einschränkungen immer stärker, Henry musste ins Pflegeheim Oberwinterthur ziehen. Als er letzte Woche aufgrund einer Lungenentzündung hospitalisiert werden sollte, lehnte er ab. Am Montag, 12. Mai 2025, starb Henry Müller. Er wäre am 16. Juni 90 Jahre alt geworden.
Matthias Erzinger
Die Abdankung findet auf Wunsch der Angehörigen im engsten Familienkreis statt.