Lokal und digital – Ein neues Stadt-Magazin für Winterthur

(Das Projektteam hinter wnti.ch von links nach rechts: Silvan Gisler, Nik Eichmann, Elio Donauer, Gioia Jöhri, Tizian Schöni, Sebastian Galli, Melanie Widmer, Karin Landolt, Simon Jacoby)
In Winterthur soll ein neues, digitales Medium entstehen. Tizian Schöni wird die Redaktion von «wnti.ch» leiten. Doch zuerst müssen er und seine Mitstreiter:innen Geld sammeln. Im Interview mit dem Tössemer spricht er unter anderem über die neuen Möglichkeiten für Vereine und Institutionen in Töss und wie hoch die eigenen Ansprüche aber auch jene aus der Winterthurer Bevölkerung sind.
Mit Tizian Schöni hat Simon Berginz gesprochen.
SB: Tizian, ihr wollt mit wnti.ch ein neues lokales Medium für Winterthur lancieren. Wieso ist jetzt der richtige Moment?
TS: Im Herbst 2024 hat die Tx-Group (Tamedia) verkündet, dass sie ihre Regionalzeitungen wie den Landboten zentraler organisieren möchte und dafür auch weniger Leute benötigt. Es schien klar, dass zukünftig vor allem die lokale Berichterstattung in Winterthur darunter leiden wird. Kurz darauf hat eine unabhängige Gruppe Leute dazu aufgerufen, dass sich Interessierte gerne melden sollen, die Lust hätten, bei einem neuen Medium für Winterthur mitzuarbeiten oder gar eine entsprechende Idee hätten.
SB: Ja genau. Die Gruppe um Marco Gurtner, Laura Bösiger, Jane Wakefield, Jan Jirat und Andreas Mösli.
TS: Meine Kolleg:innen Melanie Widmer und Nik Eichmann und ich haben schon seit längerem immer wieder an einer solchen Idee herumgedacht. Als nun die Mail dieser Aufruf-Gruppe kam, dachten wir uns: «Jetzt müssen wir was zu Papier bringen!»
Die Aufruf-Gruppe organisierte bald darauf ein Treffen mit Workshop zum Ideen-Austausch. Wir konnten bei dieser Gelegenheit auch unsere Idee vorstellen und auch eine andere Gruppe tat dies. Das waren die Leute von tsüri.ch, die vor einigen Jahren ein lokales Medium für Zürich lanciert haben, das heute ein Erfolg ist.
Nach dem Anlass haben beide Teams gemerkt, dass man wohl am besten zusammensitzt und die beiden Ideen vereinigt. Sich in dieser Situation zu konkurrieren, hätte wirklich Null Sinn gemacht.
SB: Noch ist nichts da. Ihr braucht Geld für das neue Medium, das «wnti.ch» heissen soll. Das Crowdfunding geht los. Nehmen wir mal an, das klappt. Kannst du uns sagen, wie das Produkt aussehen soll? Gedruckte Zeitung, Online-Portal – was genau schwebt euch vor?
TS: Wir benutzen den Begriff «digitales Stadt-Magazin». Das schliesst die wichtigsten Eigenschaften mit ein. Das erste Produkt wird nicht eine Website sein, auf der immer wieder neue Inhalte erscheinen. Es gibt zwar eine Webseite, aber dies ist nur der eine Teil. im Vordergrund steht ein «Wintibrief», welcher jeden Morgen in den Mail-Posteigang flattert. Ähnlich wie der Ronorp-Newsletter oder wie tsüri.ch das schon erfolgreich macht. Ähnlich gut läuft das auch in Basel mit «Bajour» oder bei der Plattform «Hauptstadt» in Bern. Das sind alles neue, digitale Medien, und ihre Newsletter kommen jeweils sehr gut an.
Inhaltlich gibt es vor allem zwei Schwerpunkte. Es wird absolut lokal sein. Wir gehen überhaupt nicht raus. Nicht auf die nationale und erst recht nicht auf die internationale Ebene. Oder wenn wir das trotzdem machen, dann hat es sicher immer einen lokalen Bezug.
SB: Wie meinst du das?
TS: Wir versuchen das Große im Kleinen zu erklären und vom Kleinen aufs Große zu schliessen. Das klingt ein bisschen kryptisch. Daher ein konkretes Beispiel: wenn jetzt im Bundesrat um das Verteidigungsministerium ein Riesentrara ist und ganz viele Leute gehen müssen. Anstatt die zuständige Bundesrätin Viola Amherd zu zitieren und über dies und jenes zu spekulieren, gehen wir vielleicht einfach mal in Winterthur an den Hauptbahnhof am Freitagabend und fragen Soldat:innen, die ins Wochenende gehen, wie sich in den letzten drei Jahren der Dienst für sie verändert hat. Ist es besser geworden oder haben sie das Gefühl, es sei schlechter? So erhalten wir einen ganz konkreten Draht zu den Leuten, die sich in der Stadt bewegen und trotzdem können wir das nationale Thema aufzugreifen. Das wäre das Erste. Dann gibt es die ganze Breite der lokalen Berichterstattung, die sowieso reingehört. Viel über Menschen, viel über das Stadtparlament, viel über die ganzen Quartiere hier in Winterthur. Und was jetzt ein bisschen weniger präsent ist in anderen Medien sind andere Religionen oder Minderheiten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Redaktionen mehr aus der eigenen Blase berichten, als eben genau aus dieser einmal herauszutreten und sich ein spezielles Milieu genauer anzuschauen. Ob wir das auch schaffen, ist noch eine ganz andere Frage.
SB: Ist es auch ein Ziel, dass die lokale Bevölkerung in der Redaktion abgebildet wird. Also die Menschen, die in verschiedenen Stadteilen wie Töss, Seen oder Wülflingen wohnen und zusätzlich auch aus kulturellen oder religiösen Minderheiten stammen.
TS: Ja, das ist ein Ziel. Wir sind bereits dran, die Redaktion zusammenzustellen Da zeigt es sich, dass es eine riesige Challenge ist, eine Person zu finden, die in Winterthur verwurzelt und vernetzt ist, eventuell einen journalistischen Hintergrund hat und zudem noch in einem Milieu unterwegs ist, in dem wir uns selbst nicht bewegen. Das ist sehr schwierig und ehrlich gesagt bis jetzt auch noch nicht erfüllt.
«Idealerweise werden wir langfristig eine Art Forum für Winterthur.»
Die Redaktion ist jetzt nicht noch nicht divers, also von der 72-jährigen Pensionärin bis zum 21-jährigen Journalismus-Student sind nicht alle vertreten. Aber genau das könnte ein Fernziel sein. Die erste Redaktion muss ja auch noch nicht dem Ideal entsprechen. Irgendwann wird es dann hoffentlich so sein.
SB: Du lieferst mir gerade ein Stichwort. Wir beschäftigen uns vor allem mit Töss. Gerade bei Quartier-, Freizeit oder Kulturvereinen besteht ein grosses Bedürfnis nach mehr Sichtbarkeit. Wie wollt ihr das angehen? Die Stadt ist gross, die Quartiere sehr vielfältig.
TS: Wenn ich es jetzt aus der Perspektive meiner aktuellen Arbeitgeberin anschaue, der Andelfinger Zeitung, zeigt es sich, dass das schwierig ist. Im Einzugsgebiet der Andelfinger Zeitung, leben 30’000 Leute, also rund ein Viertel der Winterthurer Bevölkerung und in der Zusammensetzung auch nicht so divers ist, wie in Winterthur. Die Andelfinger Zeitungen hat in der Redaktion 500-600 Stellenprozent. Und doch ist es auch da nicht möglich, all die Vereinsaktivitäten abzudecken. So wird auch bei wnti.ch nicht jeder Fussballmatch aus jedem Stadtteil abgebildet werden. So ehrlich müssen wir sein. Aber wir müssen das auch über einen gewissen Zeitraum ansehen.
Dazu werden wir auf die aktive Redaktions-Mitwirkung von den Leuten in den Quartieren angewiesen sein. Also Einsendungen, Rückmeldungen, Themenvorschläge, Inputs. Idealerweise werden wir langfristig eine Art Forum für Winterthur. Nochmal zurück zum Beispiel des Fussballklubs. Wenn da eine Person ist, die gut und gerne schreibt und mit einem ansprechenden Bild einen Text am Samstagnachmittag nach dem Match an die Redaktion schickt, dann sollte dieser Match am nächsten Tag auch publiziert werden können. Von Anfang an mit diesen 200 Stellenprozenten wird es uns nicht möglich sein, in den über 40 Quartieren jede Vereinsaktivität abzudecken.
SB: Gleichzeitig gibt es ein Medium, das immer noch da ist, wenn auch redaktionell eher ausgedünnt, den Landboten. Plus die Quartierzeitungen, die es teilweise noch gibt, wie unter anderem den Tössemer. Der Landbote hat trotzdem noch immer den Vorteil, dass er einfach überall liegt. In der Bibliothek, in den Beizen und Cafés oder an anderen Orten. Das ist etwas, was ihr als digitales Medium nicht könnt. Wie wollt dafür sorgen, dass ihr überhaupt wahrgenommen werdet?
TS: Auch wenn die Sparrunden beim Landboten ein Auslöser waren ist der ja nicht weg, sondern weist immer noch eine Auflage von knapp 19’000 Exemplaren aus. Das ist eine grosse Zahl und die Redaktion produziert meiner Meinung nach für Winterthur immer noch gute Medieninhalte. Zudem ist die Landbote-Redaktion ist ja nicht das einzige Medium mit lokalen Berichten: es gibt die Winterthurer-Zeitung, die Top-Medien, Radio Stadtfilter und das SRF-Regional-Journal welches regelmässig über Winterthur berichtet.
Also ein Grundangebot ist da. Aber mit dem Mix aus digital und lokal bietet wnti.ch eine Kombination, die bis jetzt niemand von diesen anderen Playern hat. Ich hoffe schon, dass genügend Leute das mitbekommen. Wir müssen ja nicht alle 120’000 Einwohner:innen als Newsletter-Abonent:innen haben. Wenn nur schon 1’000, 2’000, vielleicht 2’500 von Anfang an dabei sind, kommt was zusammen.
SB: Du hast das Wort «lokal» sehr betont. Es gibt in anderen Medien auch Berichte aus dem Weinland oder aus dem Tösstal. Wo ist die Grenze? Wo hört ihr auf, bei der Stadtgrenze oder gibt es dort Spielraum?
TS: Die Grenze ist die Stadtgrenze.
SB: Wirklich?
TS: Also als Beispiel: Wenn jemand, der 30 Jahre in Winterthur gelebt hat und hier verwurzelt ist jetzt an einer amerikanischen Uni zu einem interessanten Thema forscht, kann diese Person natürlich auch von uns porträtiert werden. Die geografische Grenze wirkt also nicht auf jedes journalistische Thema, aber für den Anfang ist diese Begrenzung für uns sinnvoll. Wir starten als sehr kleine Redaktion. Da reicht es uns komplett, wenn wir Themen aus diesem Gebiet beziehen, in dem jetzt 120.000 Leute wohnen. Und für alles andere gibt es den Tösstaler, Zürcher Unterländer, es gibt den Landboten, der sehr gut immer noch über die Gemeinden berichtet. Oder die Seuzi-Zeitung zum Beispiel, die zwar ein Gemeindeanzeiger aber verhältnismässig ein riesiges Blatt ist, mit Inseraten und so weiter. Die Region wird noch nicht gerade zur Newswüste. Vielleicht ist es in Zukunft auch so, dass wir uns eine grössere Redaktion leisten können und von Gemeinden und Behörden auch ausserhalb der Stadt ebenfalls ein Bedürfnis da ist. Aber das ist in weiter Zukunft.
SB: Über die Finanzierung würde ich gerne noch schnell reden. Das Crowdfunding startet. Spenden können alle, die daran interessiert sind, dass es euch, ein neues Medium, ein lokales digitales Stadtmagazin gibt. Das ist das eine. Das andere ist der Betrieb. Der muss am Laufen gehalten werden. Wie bekommt ihr regelmässig Geld. Gibt es eine Paywall, verkauft ihr Abos?
TS: Alles ist gratis. Alle Inhalte kann man gratis aufrufen, es gibt keine Paywall, sondern wir funktionieren eigentlich mit Sympathisantinnen und Sympathisanten. Die Idee ist, dass die Leute an das Medium spenden, weil sie es eine wichtige Sache finden, Wer das aber nicht will, der kann die Inhalte auch einfach so konsumieren – und ist vielleicht früher oder später von unserer Berichterstattung so überzeugt, dass sie/er auch etwas einzahlt.
Das ist eine unserer Finanzierungsebenen. Die zweite ist Werbung. Wir werden auch werben im Newsletter. Ich hoffe, wir finden Leute, die das gerne machen. Ich kann mir schon vorstellen, dass das jetzt gerade bei einer hyperlokalen Berichterstattung interessant ist, für ein Geschäft hier in der Stadt Winterthur, bei uns zu inserieren, ist doch der Streuverlust gegenüber anderer Online-Werbung viel geringer. Die dritte Säule unserer Finanzierung sind Stiftungen. Aktuell haben wir insbesondere eine Stiftung in Aussicht, bei der es vielversprechend für eine Anschubfinanzierung aussieht. Leider gibt es noch nicht so viele Institutionen die Medienförderung dezidiert als Ziel haben.
SB: Du hast in unserem Gespräch vor diesem Interview die hohen Erwartungen angesprochen. Ihr plädiert dafür, den Ball flach zu halten. Spürt ihr denn jetzt schon eine hohe Erwartungshaltung?
TS: Ja. Das Interessante ist ja, dass jede und jeder eine andere Erwartung hat. Jetzt steht vor allem im Raum, dass etwas Neues kommt und so, und dann denkt natürlich der, der beim FC Töss tschuttet, ah cool, jetzt kommt dann wieder mehr über meinen FC und jemand aus einem Quartierverein in Wülflingen denkt dasselbe. Dass das nicht alles auf einmal erfüllbar sein wird, das ist den Ressourcen geschuldet. Aber mir ist es doch sehr wichtig, dass die Menschen von Winterthur ihren Erwartungen Ausdruck geben und dass wir überhaupt mitbekommen, was denn die konkreten Erwartungen sind? Ich hatte vor kurzem eine Mail im Postfach, in der uns jemand schrieb: «Super, dass etwas Neues kommt. Ich freue mich schon auf die Berichterstattung. Einfach nicht so wie die anderen Medien.» Besser wäre aber zu sagen, was man denn konkret möchte, anstatt zu sagen, was man nicht will. Also unsere Frage an potentielle Leser:innen ist: Was fehlt aktuell? Wenn wir solche Inputs bekommen, können wir auch so arbeiten, dass es die Leute interessiert.