Die Tössemerin Regula Forster hat die Frühe Förderung und die schulexterne Betreuung geleitet
«Die Frühe Förderung hat auch mich stark geprägt»
38 Jahre lebt Regula Forster in Töss – 22 Jahre setzte sie sich im Departement Schule und Sport (DSS) der Winterthurer Stadtverwaltung dafür ein, dass die Kinder in Winterthur möglichst gute Startchancen erhalten. Ihre Pionierarbeit für den Aufbau und die strategische Ausrichtung der Frühen Förderung in Winterthur hat Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Im November 2024 wird sie pensioniert.
Ihre Arbeit in der Stadtverwaltung begann Regula Forster 2002 als Departementssekretärin im DSS unter Stadträtin Pearl Pedergnana. In dieser Funktion ent- wickelte sie zusammen mit einer departementsüber- greifenden Arbeitsgruppe ein Konzept wie Kinder aus sozialbenachteiligten Familien im Vorschulalter besser unterstützt werden könnten und gründete eine Fachstelle für Frühe Förderung. 2011 wurde entsprechend ein neuer Bereich «Familie und Jugend» eingerichtet und Regula Forster wechselte vom Departementsse- kretariat in die Leitung dieses Bereichs. 2015 kam die Schulergänzende Betreuung dazu und der Fachbereich wurde fortan unter der neuen Bezeichnung «Familie und Betreuung» weitergeführt. Er besteht seither aus den Abteilungen für Frühe Förderung, Kinderbetreuung im Vorschulalter und Schulergänzender Betreuung sowie der Aufsicht über die Kindertagesstätten (Kita) und der Trägerschaft des städtischen Kinder- und Jugendheims Oberi.
Regula Forster hat die Frühe Förderung in Winterthur stark geprägt. Gleichzeitig war sie gefordert, sich mit für sie ganz neuen Fragen dieses Themenfeldes ausei- nanderzusetzen. Ursprünglich kommt sie aus dem KV-Bereich, hat die Handelsschule in Wetzikon besucht und eine Lehre als Laborantin abgeschlossen. Regula Forster hat für verschiedene Non-Profit Organisationen, die SP-Winterthur und das RAV Zürich gearbeitet. Zudem sass sie im Winterthurer Gemeinderat (heutiges Stadtparlament), was sich für sie, wie sie erzählt, wie ein Nachdiplomstudium anfühlte, so viel habe sie in dieser Zeit gelernt. Ein tatsächliches Nachdiplomstudium absolvierte sie allerdings erst, als sie aus der Politik in die Stadtverwaltung wechselte und zwar in Verwaltungsmanagement. Intensiv studiert hat sie in den 2010er Jahren auch die aktuellen Forschungserkenntnisse zum Thema Frühe Förderung. So intensiv, dass sie heute sagt: «Das Thema hat auch mich stark geprägt». Insbesondere habe sie dadurch eine stark ressourcen- und bedürfnisorientierte Haltung entwickelt. Ihr ist wichtig geworden, das soziale System, in welchem die Kinder aufwachsen, bedürfnisgerecht einzubeziehen. Dabei gilt es aber immer wieder auch auszuhalten und zu respek- tieren, wenn Eltern die Angebote zur frühen Förderung ihres Kindes nicht annehmen wollten. Ein Schlüssel des Ansatzes der Frühen Förderung, für den sie sich in Winterthur stark gemacht hat, ist es, die Familien möglichst durch Personen mit gleichem kulturellen Hintergrund präventiv aufzusuchen, Überzeugungsarbeit zu leisten und Anreize zum Besuch von Förderangeboten zu schaf- fen. Innovativ am Winterthurer Modell ist zudem die Vernetzung verschiedener Fachstellen und Angebote der Frühen Förderung. Dank einem 2022 vom Stadtparla- ment gesprochenen Rahmenkredit konnte das Angebot in den letzten Jahren quantitativ ausgebaut werden, so- dass heute noch mehr Kinder davon profitieren können.
Kaum Betreuungsplätze
Als Regula Forster mit ihrem Mann und ihrer dreijähri- gen Tochter 1986 hochschwanger nach Winterthur Töss zog, stand sie, wie viele junge Eltern, vor einem Betreuungsproblem. Die Grosseltern waren glücklicherweise bereit, einzuspringen, wofür Regula Forster dankbar ist, sich aber bewusst ist, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr freut es sie, dass sowohl die Kinderbetreuung im Vorschulbereich als auch die Schulergänzende Betreuung in den letzten Jahren ein gros- ses Wachstum erfahren haben. Was sie freut, ist aber zugleich mit grossen Herausforderungen verbunden. 43 Prozent aller Schulkinder in Winterthur profitieren heute von der Schulergänzende Betreuung, darunter auch zwei ihrer vier Enkel, welche die Betreuung Tössfeld besuchen. Alle diese Kinder benötigen geeignete Räumlichkeiten und qualifiziertes Personal. Fachlichkeit zu gewährleisten ist zwar bei diesem Wachstum eine Herausforderung, Regula Forster sieht darin aber auch grosses Potential. Die Betreuungspersonen bringen Fachwissen aus der Sozialpädagogik oder als Fachperson Betreuung in die Schulen, was etwa bei herausfordernder Situationen hilfreich und ein Mehrwert in Zeiten des Fachkräftemangels sein kann. Die Kinderbetreuung im Vorschulalter hingegen ist für Regula Forster mit etwas Bitterkeit verbunden, auch wenn es sie freut, dass auch hier die Betreuungszahlen steigen. Gleichzeitig beobachtet sie aber, dass es aufgrund der aktuellen Finanzierungssituation für Kitas immer schwieriger werde, qualitativ gute Arbeit zu leis- ten. «Am Schluss leiden die Kinder», befürchtet sie und hofft, dass sich die «desolate, politisch verkachelte» Lage auf Bundes- und Kantonsebene bald ändern wird. Gleichzeitig würde sie sich wünschen, dass sich Eltern aktiver für eine bessere Finanzierung und für Qualität in der Betreuung einsetzen würden.
Zum Bereich Familie und Betreuung des DSS gehört auch das Kinder- und Jugendheim Oberi. Seit 1951 werden hier Kinder und Jugendliche stationär betreut und besuchen die Schule in Oberwinterthur oder eine Lehre.
In den 2000er- und 2010er-Jahren fanden in der ganzen Schweiz breite Diskussionen über Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Missstände in Heimen statt, die auch das Kinder- und Jugendheim Oberi erfassten. Die Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen aus den 1960er-Jahren wurde für Regula Forster zu einem der spannendsten und berührendsten Projekte in allen ihren Jahren im DSS. Umsichtig und sensibel nahm sie die in den 2010er-Jahren publik gewordenen Anschuldigungen ehemaliger Heimkinder zum Anlass, durch einen Studienauftrag an die ZHAW sowohl Betroffenen eine Stimme zu geben und Gelegenheiten zur Versöhnung zu ermöglichen, als auch die Winterthurer Heimgeschichte wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die daraus entstandene Studie ist 2017 unter dem Titel «zusammen allein» in der Reihe der Winterthurer Neujahrsblätter erschienen.
Regula Forster wird Ende November pensioniert. Noch immer sprüht sie vor Energie und Engagement, wenn sie festhält, «letztlich geht es immer um das Kind». Sie hat geprägt und wurde selbst geprägt. Nun gibt sie den Stab weiter und nimmt einen neuen Lebensabschnitt mit neuen Themen in Angriff.
Mirjam Staub
Der Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung eines Beitrages aus dem Winterthurer Jahrbuch 2024. Dieses ist soeben erschienen und für CHF 39 im Buchhandel erhältlich. Es enthält Portraits von Menschen aus Winterthur die mit Ihren Visionen und ihrem Engagement Winterthur gerägt haben.